Haben Behörden Gewissen?

■ 22 Stühle im Bremer Orchestergraben sind leer. Aufs Neue re-det die Philharmonische Gesellschaft der Behörde ins Gewissen.

Vor drei Jahren hat es der Präsident der Akademie der Darstellenden Künste Günther Rühle deutlich gesagt: Wer sich Stadtstaat nennen will, muß verschiedene Konsequenzen daraus ziehen. Ein Staatstheater, eine Universität, eine Bibliothek, ein Museum, aber auch ein A-Orchester sind unverzichtbare Fundamente eines Kulturlebens. Trotzdem erlaubt sich der bremische Kultursenat nun schon seit Jahrzehnten, die fehlenden Stellen im Orchester nicht zu besetzen und das Orchester, seinen Leiter Günter Neuhold und die Philharmonische Gesellschaft immer neu zu vertrösten. 99 Stellen stehen einem A-Orchester – die in Deutschland übliche, erste Qualitätsbezeichnung, die nach der Größe der Städte entstanden ist – zu, zwölf Stellen davon sind eh seit Jahren gesperrt. Von den 87 Stellen sind zehn unbesetzt, weitere vier werden im Laufe der nächsten Zeit frei.

Nachdem vor ziemlich genau einem Jahr das Orchester selbst mit diesen unhaltbaren Zuständen in die Öffentlichkeit ging und über 3.000 Unterschriften sammelte, rührt sich nun die Philharmonische Gesellschaft, die nächstes Jahr immerhin ihr 175jähriges Jubiläum feiern will. „Wir müssen die Öffentlichkeit endlich wachrütteln“, sagt Barbara Grobien vom Vorstand der Philharmonischen Gesellschaft. Nochmal zur Erinnerung, was regelmäßig in dieser Zeitung berichtet wurde: Die private Philharmonische Gesellschaft trägt außer den staatlichen Gehältern der Musiker alles. Ehrenamtliche machen das Programm, engagieren und bezahlen Solisten und Dirigenten, suchen Sponsoren, drucken die Programmhefte, machen die Werbung. Diese Gesellschaft hat 9oo Mitglieder – die ca. DM 20.000,- pro Jahr einbringen – und ist nicht ganz unumstritten. Der „Anstoß“-Gutachter Eckard Heinz hat für die überregionale, aber auch regionale Präsentanz des Orchesters ein professionelles Management verlangt. Was das kosten würde, wäre ja gar nicht auszudenken, weswegen man die Behörde auch in dieser Hinsicht mit ihrem Aushungerverhalten wirklich nicht versteht. Denn „ich bin nicht bereit, für ein B-oder C-Orchester Konzerte zu organisieren“, sagt klar Barbara Grobien und sie ist nicht die einzige. Aber: „Können Sie nicht mal dafür sorgen, daß eine Probe weniger stattfindet“ rät dann auch mal Senatsdirektor Rainer Köttgen, der mit so etwas Geld sparen würde, was die Behörde ohnehin nicht bezahlt.

Der Presseerklärung der Philharmonischen Gesellschaft ging urigerweise eine Forderung des Vorsitzenden der SPD-Bürgerschaftsfraktion Christian Weber nach Aufstockung der Stellen nur wenige Tage voraus. „Guten Morgen, Herr Weber“, applaudierte Frau Motschmann ironisch. Die Presseerklärung wiederholt schon Bekanntes und ist seltsam lasch ausgefallen. Kräftiger klang das vorausgehende Protokoll der Mitgliedersammlung: „Das Argument der leeren Staatskasse wird angesichts zwei- und dreistelliger Millionenbeträge für Freizeitprojekte zur Farce“.

Es gilt, einen Weg aus drei Miseren gleichzeitig zu finden, denn erstens spielt das Orchester im Augenblick gegen seinen Chef Günter Neuhold – das Mißtrauensvotum gegen ihn war fast hundertprozentig ausgefallen, zweitens ist eine Professionalisierung des Managements wünschenswert und drittens müssen als politische Willenserklärung ganz einfach die Stellen besetzt werden.

Denn unabhängig von der künftigen Rechtsform des Orchesters – ab Januar 2000 Eigenbetrieb – kann die Musikstadt Bremen sich die Aushöhlung ihres Staatsorchesters nicht leisten, da mögen noch so viele wunderbare Klangkörper als Gäste in die Stadt kommen. Neuigkeiten aus der Kulturbehörde: Drei Stellen werden jetzt ausgeschrieben. Hoffnung? Hoffentlich. Und man vergibt sich auch nichts, wenn man noch mal sehr deutlich sagt, welch qualitativen Aufschwung das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Günter Neuhold genommen hat. Das Orchester allerdings vermißt neben dem guten Benehmen des Chefs dessen Einsatz für ihre politischen Belange. Ute Schalz-Laurenze