Die Vielfalt der Möbel Von Barbara Geschwinde

Jeden Morgen gehe ich zur Bäckerei um die Ecke, um Brötchen zu holen. Immer gleich verschlafen treffe ich auf die immer gleich freundliche und ruhige, fast schon behäbige Bäckersfrau, die mir die immer gleich leckeren Brötchen verkauft. Einmal im Jahr wird dieses für meinen Seelenfrieden wichtige Ritual gestört. Denn dann steht meine Bäckersfrau wild gestikulierend hinter dem Tresen und sagt immerzu Worte, wie „prego“ und „pronto“, und ich weiß: Es ist wieder Möbelmesse; italienische Designer sind in Scharen in meine Stadt eingefallen.

Um die Ekstase meiner Bäckerin zu verstehen, bin ich dieses Mal auch hingegangen und habe gelernt, daß unsere Wohnungen und Häuser nicht mehr in einzelne Räume mit funktionalen Möbelstücken unterteilt sind, sondern ich eigentlich das Leben eines Island- Hoppers führe. Denn ich – aha! –, ich bewege mich zwischen Inseln hin und her! Von der „Insel der Ruhe“, dem Schlafzimmer, zur „Spielinsel“, dem Kinderzimmer, und von dort zur „Medieninsel“, dem guten, alten Schreibtisch. Lampen machen alles, was noch so übrigbleibt, zu „Inseln des Lichts“.

Ja, „Stuhl und Tisch sind so vielfältig wie die menschlichen Charaktere“ – das steht schon in den Informationen zur Internationalen Möbelmesse. Und die Designer belassen es auch nicht bei Worthülsen, nein, „ran“, das Fußballmagazin von Sat.1, und eine Firma in Gelsenkirchen haben tatsächlich den „ersten Sessel zum Programm“ entworfen, eben den „ran Sessel“. Der soll dafür sorgen, daß alle Fußballfans samstags mit dem Bier in der Hand vor der Glotze sitzen – in ein und demselben Sesselmodell. Dieses Sitzmöbel bietet den Sportfans die Chance, gleichzeitig gleich hoch zu springen und gleich laut im Stehen „Toooor!“ zu brüllen. Denn: Der Sessel ist nicht nur bequem; man kann ihn auch leicht verlassen, und wenn's am Ende doch nur für einen fluchenden Gang zur Toilette ist, weil die gegnerische Mannschaft das Tor erzielte.

Egal wer gewinnt, eines ist klar – nämlich was uns auf der Möbelmesse 2000 erwartet: der Sessel, der automatisch schunkelt, wenn wir die Heimat- und Volkslieder- Sendungen einschalten, oder der Sessel, der den Fans von Schnulzen, wie zum Beispiel Sissi, die Taschentücher reicht, oder der Sessel, der auf Tastendruck applaudiert oder „buh!“ ruft. Ganz individuell und passend zum Fernsehprogramm!

Da wohl wegen der unterschiedlichen Fernsehprogrammwünsche die Zahl der Trennungen steigt, haben trenn- und trendorientierte Designer „Scheidungsmöbel“ entwickelt. Was früher mühsam – im besten Fall mit einer Säge, im schlechtesten mit einer Axt –, auf jeden Fall aber mit viel Gezeter ge- und zerteilt wurde, wird heute einfach auseinandergeschoben und einer gerechten Gütertrennung unterworfen. Jeder kann seine Bett-, Schrank- oder Regalhälfte mitnehmen und an die Möbel der neuen Partnerin/des neuen Partners ankoppeln. Nur, wie ist es zu verstehen, daß dieser Teil der Möbelmesse ausgerechnet in der Kölner Christuskirche zu sehen ist? Scheidungsmöbel, unterstützt vom Klerus?

„Ja – aber vom evangelischen“, erklärte mir meine Bäckersfrau stehenden Fußes vor ihrem unteilbaren Backofen, auf ihrer wunderschönen Brötcheninsel.