■ Späte, aber nicht zu späte Würdigung des Jambenkönigs Ernst Bömmel
: Suche nach Gereimtheiten

Wer den Namen Ernst Bömmel hört, denkt sofort an den genialen Worteschmied und Dritten der Stabreim-Europameisterschaft 1954, an den Mann, der die deutsche Dichtung der Nachkriegszeit geprägt hat wie kaum ein Zweiter und dem dennoch zu Lebzeiten der letzte Erfolg versagt geblieben ist, ja, dessen bahnbrechende Leistungen auf dem Gebiet des Reimwesens heute dem unwiderruflichen Vergessen anheimzufallen drohen.

Aber wer kennt ihn wirklich, diesen faszinierenden und mysteriösen Literaten? Wer war dieser russische Emigrant Sergej Bommelikow, Urenkel von Leo Tolstoi, Doktorand bei Iwan Rebroff, Freund von Max Merkel und Sandkastengespiele von Magda Bach? Wer weiß denn, daß Ernst Bömmel – wie er sich später nannte – schon als Schuljunge von einem endgültigen System des Reimens geträumt und sein Leben lang nicht aufgehört hat, an der Erneuerung der deutschen Dichtkunst aus dem Geiste des Kalauers zu feilen?

Ein ganzer Kranz von Mythen rankt sich um die Gestalt dieses brillanten, provozierenden und ironischen Dichters und intellektuell überlegenen Geistes, der keine Schule bilden wollte, aber durch seine Schüler, das heißt die Teilnehmer an seinem berühmten Endreim-Seminar der Jahre 1953–1959, die Keimzelle zur Bildung der „Gruppe 4711“ entscheidend befruchtet hat.

Im Gegensatz zu Frankreich, wo Jacques Prevell und dessen Schüler Bömmels Theorien ungehindert verbreiten konnten, tritt in Deutschland seine Gestalt erst allmählich aus dem Schatten hervor, den er als graue Eminenz der neuhochdeutschen Poetik der Adenauer-Ära geworfen hat. Bömmel hat zu Lebzeiten zwar zahlreiche Gedichte veröffentlicht, die sich aber erst in seinen reifen Jahren zu einem Buche fügen wollten. Aus dem äußerst voluminösen Nachlaß werden jetzt endlich Bücher veröffentlicht, die den wahrhaft enzyklopädischen Ansatz des Bömmelschen Kosmos erkennen lassen: Bömmel war, das steht heute fest, sehr viel mehr als nur der unermüdliche Wanderer zwischen den Deckeln, die die Welt bedeuten.

Auf der Suche nach den absoluten „Gereimtheiten“ hat er im Medium der Wortkunst Konsaliks die Grundzüge seiner eigenen Poetik offengelegt. Bömmels bahnbrechende Konsalik-Lektüre mündet schließlich in eine Knittelvers-Fassung des „Arztes von Stalingrad“, die von der Kritik jedoch weitgehend unbeachtet blieb. Geworfen in einen Widerstreit zwischen jubilierender Eitelkeit und tiefster Resignation, glaubte er sich schließlich verkannt und vergessen vom verlegerischen Establishment seiner Zeit, schockierte er gegen Ende der fünfziger Jahre die „Bömmelianer“ mit der provokanten These: das Ende der Dichtung sei endgültig und unwiderruflich mit ihm und über ihn gekommen.

Für eine regelrechte Bömmel-Renaissance sorgte die kongenial-launige Laudatio Hugo Brunns auf der letztjährigen Frankfurter Buchmesse, der er den suggestiven Titel „Das Ende der Gedichte“ gab. Der Mülheimer entpuppt sich darin als intimer Kenner von Bömmels poetischen Miniaturen, lyrischen Vignetten und sogar der eher balladesken Motetten. In einer von enthusiasmierter Kennerschaft vibrierenden Rhetorik wirft Brunn hier zum ersten Mal nicht unbedeutende Ergänzungen zum vollendeten Verständnis des Bömmelschen ×uvres in die Debatte:

Sicher liegt er richtig, wenn er Bömmel als Meister sowohl der großen wie der kleinen Form apostrophiert – und doch, ist Bömmel nicht noch viel mehr? Wenn man die Gesamtheit seines Werkes einmal kritisch würdigen wollte, würde sich klar erweisen, daß sich hier einer nicht scheut, auch Niederungen zu durchschreiten, ohne deren Kenntnis wohl keiner der von der literarischen Kritik heute so gepriesenen Höhenflüge auch nur entfernt auf plausible Darstellung hätte hoffen dürfen. Kurz, Ernst Bömmel muß erst noch als der zu entdeckende Meister der Platt-Form begriffen werden, auch und gerade als Bömmel-King der Kalauer-Klauer, dessen in sechshebigen Jamben verfaßter dramatischer Erstling von 1952 „Die Omelett-Maschine“ immerhin posthum mit dem Förderpreis des deutschen Bauernverbandes ausgezeichnet wurde. Eine schöne, wenn auch leicht verspätete Geste, und doch bleibt zu hoffen, daß dieser deutsche Dichter, Nestor einer versunken geglaubten Reim-Kultur, neben dem viele seiner bekannteren Kollegen wie irrlichternde Säulenheilige verblassen, jetzt endlich die verdiente, volle Anerkennung einer breiteren literarischen Öffentlichkeit finden möge! Rüdiger Kind