■ Ohne Freiheit und Demokratie gibt es keine Lösung für den Kosovo
: Kosovo ist nicht Irak

Derzeit scheint sich die Debatte der frühen Neunziger zu wiederholen, als Bellizisten und Isolationisten leidenschaftlich ineinander verwickelt waren. Auch damals standen der Irak und der Balkan im Mittelpunkt. Der damalige Angriff auf den Irak warf grundsätzlich die Frage nach dem Verhältnis demokratischer Gesellschaften zu Diktaturen auf, auch wenn es hintergründig um Öl zu gehen schien.

Bei den Kriegen in Kroatien und Bosnien ging es in Deutschland zudem darum, die Rolle des gerade vereinigten Landes neu zu definieren. Daß Deutschland in Konflikten internationale Verantwortung zu übernehmen habe, war für viele damals undenkbar. Heute ist dies Schnee von gestern. Damals stieß die deutsche Teilnahme an Blauhelmeinsätzen noch auf lebhafte Ablehnung, heute ist diese Diskussion abgehakt.

Wurde aber wirklich dazugelernt? Viele Gegensätze sind geblieben. Wenn manche sich heute um den Bestand des Völkerrechts und der UNO sorgen, drängt sich bei anderen der Eindruck auf, es handele sich um eine Scheu, bei Menschenrechtsverletzungen großen Ausmaßes verantwortlich einzugreifen.

Die UNO hat in Bosnien und Ruanda versagt; der Weltsicherheitsrat wurde in entscheidenden Fragen von Rußland und China blockiert. Erst dieses Versagen der UNO hat der Führungmacht USA Lasten aufgebürdet, die sie überforderten. Dies zeigt der Fall Irak. Indem militärische Mittel angewandt wurden, gleichzeitig aber die politischen Ziele unklar blieben, mußte der 1995 erfolgreich in Bosnien angewandte Ansatz, Diplomatie mit militärischem Druck zu verbinden, Schaden erleiden. Doch das heißt nicht, daß dieser Ansatz nun obsolet ist. Denn jede historische Gestalt verlangt ihre eigene Analyse. Anders gesagt: Wer gegen einen Militäreinsatz im Irak war, muß dies nicht auch im Falle des Kosovo sein. Wenn die Europäer eine eigenständige, menschenrechtsorientierte Außenpolitik entwickeln wollen, die sich nicht bloß im Schlepptau der US-Diplomatie bewegt, dürfen sie – trotz der komplizierten EU-internen Interessen – die eigentlichen Adressaten nicht vergessen: die Kosovo-Albaner (und die dortigen Minderheiten der Serben, Roma und Türken). Die Zeit drängt. Es gibt nicht mehr viel Spielraum fürs Planen.

Einig sind sich alle darin, daß die Massaker nicht hinzunehmen sind. Wohl schon weniger darin, daß sie nicht die Taten einzelner Verbrecher darstellen, sondern in der Logik der Politik Milošević' liegen. Daß seit 1989 im Kosovo ein Besatzungsregime herrscht, das dem größten Teil der Bevölkerung alle Freiheitsrechte entzieht, nehmen viele schon gar nicht mehr wahr. Daß der Widerstand dagegen legitim ist, bestreiten die meisten europäischen Politiker – die UCK wird sogar zunehmend auf die Stufe der Milošević- Ordnungskräfte gestellt. Da wundert es nicht, daß die Forderungen der Kosovo-Albaner nach Unabhängigkeit auf keine Sympathien stoßen. Keine supranationale Organisation aber hat das Recht, Unterdrückten vorzuschreiben, ob sie eine Diktatur weiter akzeptieren oder nicht. Ohne Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie gibt es keine politische Lösung.

In der selbstauferlegten Beschränkung des Denkens wurzelt jedoch das bisherige Scheitern der europäischen Kosovo-Politik. Die aus dem Kompromiß EU–USA und Holbrooke–Milošević geronnene Mission der OSZE läuft Gefahr, zwischen Milošević' Terrorregime und den Freiheitsbestrebungen der Kosovo-Albaner zerrieben zu werden. Das faktische Ziel der Mission, den Kosovo im serbischen Staatsverband zu halten und gleichzeitig die grundlegenden Rechte der Bürger zu wahren – ohne sie durchsetzen zu können –, führt zu keiner Lösung des Konflikts.

Selbst der Einsatz von Bodentruppen und ein internationales Protektorat würden, obwohl es ein Fortschritt wäre, diesen Widerspruch nicht lösen, sondern lediglich zudecken. Aber schon dies ist unwahrscheinlich. Eher wird man sich vorerst mit einigen Konzessionen Milošević' begnügen.

Erst mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker wurde die Basis für einen freiwilligen Zusammenschluß der Nationen Europas ermöglicht. Das aus dem alten Zwangsverband Jugoslawien ausgestiegene Slowenien ist auf dem Sprung in die EU. Es geht also darum, völkerrechtlich abgesicherte Prozeduren für einen Ausstieg Kosovos aus dem jugoslawischen Zwangsverband zu entwerfen. Europa muß sich daran erinnern, daß ein dauerhafter Frieden ohne Freiheit nicht möglich ist. Erich Rathfelder