Ehemalige Zwangsarbeiter klagen auf Gleichbehandlung

■ Anders als jüdische Opfer der Nazis warten polnische Zwangsarbeiter auf Entschädigung

Warschau (taz) – Die alten Herren am Tisch nippen nur am Kaffee. Die Gastredner aus dem Ausland stürzen sie immer wieder in ein Wechselbad aus Hoffnung und Resignation. Alle wurden während des Zweiten Weltkrieges als Zwangsarbeiter nach Deutschland deportiert. Gearbeitet haben sie für deutsche Industrieunternehmen, für die SS und bei Bauern. Nur Lohn für ihre Arbeit haben sie keinen gesehen. Daß mit „Kost und Logis“ – oft genug im Außenlager eines KZ – das Entgelt für ihre Arbeit abgegolten sein sollte, haben sie nie akzeptiert. Andere Opfer der Nationalsozialisten haben eine Entschädigung bekommen – entscheidend war nicht die Verfolgung, sondern der Wohnsitz: Im Westen zahlte die Regierung rund 100 Milliarden Mark Entschädigung, in gesamt Osteuropa gerade mal 1,8 Milliarden.

Die alten Herren, die sich Anfang de Monats in Warschau trafen, sind nicht irgendwer. Sie vertreten 700.000 ehemalige Zwangsarbeiter. Und sie sind entschlossen, den 60. Jahrestag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf Polen nicht zur einer kitschigen Versöhnungszeremonie verkommen zu lassen. „Der Krieg ist noch nicht zu Ende“, stellt Karol Gawlowski, Vizevorsitzender des Verbandes der vom Dritten Reich Geschädigten“, verbittert fest. „Wir geben nicht auf: Die deutschen Gerichte können sich jetzt auf Hunderttausende von Klagen einstellen.“

Im Mai diesen Jahres läuft die dreijährige Frist zur Anmeldung individueller Entschädigungsansprüche ab. Die bisherigen Versuche, eine Lösung zu finden, sind sämtlich fehlgeschlagen. Der Auswärtige Ausschuß des polnischen Abgeordnetenhauses hat nun eine Erklärung verabschiedet, die in den nächsten Tagen dem Vorsitzenden des Auswärtigen Bundestagsausschusses, Hans-Ulrich Klose, zugeleitet werden soll. Die Abgeordneten fordern Deutschland auf, endlich auch die ehemaligen Zwangsarbeiter aus Polen zu entschädigen. Nicht nur „alle deutschen Einrichtungen, die Gewinn aus der Zwangsarbeit in Industrie, Landwirtschaft und anderen Sektoren gezogen“ hätten, seien verpflichtet, „eine angemessene Entschädigung zu zahlen, sondern auch der deutsche Staat als Urheber und Organisator dieses Tuns“.

Auf polnischen Druck hin hat Kanzleramtsminister Bodo Hombach seinen Amtskollegen Wieslaw Walendziak jetzt nach Bonn eingeladen, um das heikle Thema zu besprechen. Allerdings, das machte er bereits deutlich: „Geld aus der Staatskasse wird es nicht geben.“ Die polnischen NS-Opfer seien bereits entschädigt worden.

Vor zwei Jahren vereinbarte die damalige Regierung mit der Jewish Claims Conference eine Sonderregelung für jüdische Opfer in Osteuropa – KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Ghetto-Insassen. Sie werden ab diesem Januar ein monatliche Rente von 250 Mark erhalten. Nichtjüdische KZ- Häftlinge und Zwangsarbeiter erhalten nichts. Die polnischen Opferverbände sind sicher, daß sie von deutschen Gerichten, wenn sie auf Gleichbehandlung aller Opfer klagen, recht bekommen.

Bei Entschädigungszahlungen an Opfer in Polen hat die deutsche Regierung bislang nur zwei Gruppen bedacht: 1972 die sogenannten Mengele-Opfer, an denen Nazi- Ärzte pseudomedizinische Untersuchungen vorgenommen hatten (100 Millionen Mark), und 1997 die jüdischen KZ- und Ghetto- Häftlinge sowie Zwangsarbeiter in Osteuropa (200 Millionen Mark). 1975 erkannte die deutsche Regierung die Rentenansprüche der ehemaligen Zwangsarbeiter und KZ- Häftlinge aus Polen an und überwies 1,3 Milliarden Mark an polnische Rententräger. Dies war aber die Befriedigung der Rentenansprüche, die sich aus den geleisteten Beiträgen zu den Sozialversicherungen des Dritten Reiches ergeben hatten. Den Lohn haben die Deutschen bis heute einbehalten.

Nach der Wiedervereinigung zahlte die Bundesregierung 1,8 Milliarden Mark in die Fonds der in Osteuropa gegründeten „Versöhnungsstiftungen“ ein. In Polen bestand die als „humanitäre Geste“ bezeichnete Summe aus 500 Millionen Mark. Ehemalige Kinder, die einen Monat KZ-Haft nachweisen können, erhalten als einmalige Versöhnungsgeste die Mindestsumme ausgezahlt: zehn Zloty (5,20 Mark). Die Zwangsarbeiter aber wollen für jeden Monat mindestens 400 Mark einklagen. Gabriele Lesser