Kein Komplizentum. Keine Korruption

■ Eine Sonntag eröffnende Ausstellung des Pariser Fotografen Patrick Faigenbaum im Neuen Museum Weserburg zeigt ein eigenwilliges Portrait der Stadt Bremen, entstanden im grauen und nassen Herbst des Jahres 1996 und 1998

Von Patrick Faigenbaum möchte ich nicht fotografiert werden. Denn jedes seiner Bilder muß geboren werden. An den Wehen aber wird der Porträtierte umfangreich beteiligt.

Nehmen wir den Fall der Familie Pantijelew. Die russisch-jüdischen Neubremer hatten Faigenbaum zu Opas Geburtstagsfeier eingeladen. Auf dem Tisch standen Wodka, Radieschensalat und Kartoffeln mit Fleisch. Doch als Faigenbaum die Eltern mit den beiden Söhnen am Tisch sitzen sah, im Hintergrund das einzige Stück Rußland, das die Familie mitgebracht hat, ein gesticktes Genrebild mit Handwerker und Edelmann, und das Sonnenlicht fiel so herrlich scharf von links ein, und wie sie da saßen, da sahen sie so russisch aus und so unbehaust und doch so zäh, da mußte er einfach um Geduld bitten. Mußte sein ambulantes Studio aufbauen. Mußte sich hinter die Kamera stellen. Und wartete. Und wartete. Und die Familie Pantijelew wartete. Und wartete. Und irgendwann (und dieses irgendwann ist bei Faigenbaum gern mal eine Stunde später) war der Moment da. Da hatten die Pantijelews den Fotografen vergessen. Da waren sie allein. Kein Lächeln mehr. Kein Blickeflackern. Kein Kontakt. Kein Komplizentum. Keine Korruption. Distanz! Dann drückte Faigenbaum den Auslöser.

„Manchmal ist das Foto gemacht, und die Leute bleiben so sitzen. Weil ich für sie verschwunden bin.“ Er hypnotisiere die Menschen, sagt er. Denn „ich will nicht, daß sie lächeln. Ein Portrait, auf dem der Porträtierte lächelt, kann man nicht jahrelang ansehen. Nur in der Distanz kann das Bild überleben.“ Solche Sätze diktiert Faigenbaum den Reportern in den Block bei der Pressekonferenz im Neuen Museum Weserburg. Dort ist nämlich viel Platz geschaffen worden für die großen Fotos des Pariser Künstlers, die ab Sonntag allgemein zugänglich sind. Italienische Bilder, genauer: Aufnahmen italienischer Adelsfamilien. Und Bremer Bilder, die zusammen ein Portrait unserer Stadt sein wollen.

Im grauen und nassen Herbst 1996 und 1998 noch einmal weilte Faigenbaum insgesamt ein halbes Jahr in Bremen. Er war Gast in der Weserburg. In dieser Zeit entstanden etwa 1.000 Bilder, darunter allerdings auch flüchtigere Aufnahmen, etwa von der weihnachtlich geschmückten Obernstraße in später Sonne, von Heruntergekommenen im Oslebshauser Park, von Szenefrauen im Ostertor.

Er hat die Stadt als Fremder bereist, doch ohne touristischen Blick. Vielleicht auf der Suche nach einer Art Seele der Stadt. Die sich irgendwo im vagen Verhältnis Zentrum-Peripherie versteckt, die man leichter in den plastikverkleideten Kleinbürgerhäuschen in Osterholz findet als im Schnoor. Der er zu begegnen hoffte in Schulen und der Uni, vor den hermetischen Fassaden der Hochhäuser in Tenever, in einer Siedlung mit Solarhäuschen in Gröpelingen. In Paris hat er dann die Negative gesichtet, Prints hergestellt, was furchtbar viel Zeit kostet, bis zu drei Wochen für einen Abzug. Die braucht er, um aus dem fürchterlichen Grau oder maßlosen Schwarz seiner Bilder Köpfe, Kanten, Details herauszuarbeiten. Aber was sind schon drei Wochen angesichts der Ewigkeit, für die Faigenbaum (documenta X-Teilnehmer) arbeitet?

Vielleicht ist es Mystifikation. Jedenfalls macht es Spaß mitzuspielen: „Instinktiv“ habe er seine Auswahl von Bildern, die sich zu einem Bremenporträt zusammensetzen lassen, getroffen. Es entstünde „eine Art Film“; aus der Masse der Bilder hätte er leicht noch drei oder vier andere Filme machen können. Geht man zwischen diesen Bildern hin und her, will man es gern glauben: Daß in den Falten um den Mund der Frau auf dem Weihnachtsmarkt, die so bitter und ernst blickt, die Seele Bremens nistet. Wie sie in den Plastiktüten des mutmaßlichen Frührentners nistet, der in der Neuen Vahr auf einer Holzbank sitzt, die Hand aufs Knie gestützt, in den Hängebäckchen keine Hoffnung. Und wenn ein Mädchen im Schulzentrum Schaumburger Straße mit gefalteten Händen und Schatten unter den Augen in die Kamera blickt, mit genau dem gewünschten Grad von Abwesenheit, in den Augen die Erschöpfung vom langen Warten auf den rechten Moment – dann hat Faigenbaum etwas getroffen. Das kann Bremen sein, oder eine Seele, oder Bremens Seele, oder es kann auch ein Selbstporträt sein, Faigenbaum geht schließlich sehr weit, wenn er seine Porträtierten arrangiert.Es muß eine Affinität geben zwischen Faigenbaum und diesen starren und in Konventionen eingeklemmten italienischen Adeligen, die er in Florenz, Rom und Neapel in ihren marmornen Palästen mit der Kamera zusätzlich einfror. Diesen Leuten ist er teilweise zwei Jahre lang nachgestiegen. Hat sie belagert. Hat Einlaß beantragt. Um sie dann in der Art alter Meister so zu arrangieren, wie sie sich selbst am liebsten sehen.

Dieses Verfahren auf ein Bremer Schulmädchen anzuwenden oder auf eine russische Familie, die noch gar nicht angekommen ist in ihrer winzigen Wohnung in der fremden Stadt – das hat etwas Beängstigendes. Wo man doch schon vom bloßen Anschauen der Bilder fürchten muß, sich zu verlieren. Darum möchte ich von Patrick Faigenbaum nicht fotografiert werden.

Burkhard Straßmann

Eröffnung ist am 24.1., 11.30 Uhr. Zur Ausstellung, die am 14.3. endet, ist ein Katalog erschienen