Vorhang im Washingtoner Staatstheater

Das Verfahren gegen US-Präsident Bill Clinton vor dem Senat nähert sich dem Ende. Nach einem krönenden Abschluß der Verteidigung scheinen Freispruch oder Einstellung des Verfahrens wahrscheinlich  ■ Aus Washington Peter Tautfest

Wäre Donnerstag abend abgestimmt worden, das Verfahren gegen US-Präsident Bill Clinton wäre bereits zu Ende. Die Rede des ehemaligen Senators Dale Bumpers vor seinen 100 amtierenden Kollegen war ein dramatischer und rhetorischer Höhepunkt in der Abfolge schier endloser Einlassungen, durch die es den Anwälten des Weißen Hauses in dieser Woche gelungen ist, die Dynamik des Prozesses umzukehren. Eine Verurteilung Clintons gilt jetzt – nicht nur rechnerisch – als unmöglich.

Die Vertreter der Anklage sehen ihre Felle davonschwimmen und bedauern, daß sie, anders als die Staatsanwaltschaft in regulären Prozessen, nicht nochmals zu Worte kommen. In den Reihen der republikanischen Senatoren werden erste Stimmen laut, die all dem ein Ende machen wollen.

Bumpers, der silbergraue, kerzengerade 70jährige, traf den richtigen Ton. Eine Mischung aus Cicero und Provinzanwalt, mischte der Mann, der wie Clinton aus Arkansas kommt, Anekdoten mit historischen und juristischen Exkursen über die Bedeutung des Impeachments. Bumpers brachte erstmals Humor ins Verfahren und seine Zuhörer zum Lachen, als er den legendären amerikanischen Literaturkritiker H. L. Mencken (der Karl Kraus Amerikas) zitierte: „Wenn Ihnen jemand erzählt, es geht nicht um Geld – dann geht es um Geld. Und wenn Ihnen jemand sagt, hier geht es nicht um Sex – na, dann geht es um Sex.“

Selbst die Gesichter von Clintons ärgsten Feinden wurden nachdenklich, als Bumpers danach fragte, wo das Verständnis für menschliche Schwäche geblieben sei: „Dies alles war auch ein bißchen viel für seine Familie.“ Bumpers sprach erstmals öffentlich aus, worüber bisher nur spekuliert worden war: „Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Tochter ist auf unglaubliche Weise belastet, wenn nicht zerstört worden.“

„Was hättet ihr denn getan?“ fragte er die Versammlung älterer Herrschaften, die gravitätisch versammelt waren, um über Clinton zu richten. „Na klar, sagt ihr, das hätte er sich alles vorher überlegen sollen. Hätte er! So wie Adam und Eva das hätten tun sollen, so wie Sie und Sie und Sie und Sie und Millionen andere sich das vorher hätten überlegen sollen.“ Und Bumpers verstand sich auch aufs Drohen: „Wenn dieses Verfahren eingestellt wird, geht jeder von Ihnen morgen an seine gewohnte Arbeit. Wenn Clinton abgesetzt wird, weiß niemand, welche Auswirkungen das auf das Land haben kann. Seine Absetzung kann mehr Unheil anrichten, als der Präsident je anrichten könnte – er hat doch nur noch zwei Jahre im Amt.“

Dale Bumpers' Rede war der Abschluß einer Woche des großen Staatstheaters. Die Phalanx der Talente, die das Weiße Haus aufgefahren hatte, um Bill Clinton zu entlasten, reichte von dem behinderten Anwalt Charles Ruff über den bübisch aussehenden Greg Craig, vom neuen Liebling der Nation, der jungen schwarzen Anwältin Cheryl Mills bis zu dem sauertöpfisch-pedantischen David Kendall, der die Anklage paragraphenweise sezierte. So muß es im alten Rom zugegangen sein, als Cicero seine großen Reden gegen Catelina und Marc Antonius gehalten hat. Das Impeachment ist wie ein modernes, mehrtägiges Passionsspiel, dessen Schlußakt jetzt begonnen hat. Seit Freitag befragen die Senatoren durch schriftlich eingereichte Fragen beide Parteien – die letzte Chance der Ankläger, den Eindruck zu verwischen, den die Verteidigung hinterlassen hat. Am Montag dann wird über den Fortgang des Verfahrens entschieden. Drei Möglichkeiten gibt es: Zeugen können vorgeladen werden – zur Zeit unwahrscheinlich –, das Verfahren kann eingestellt werden, oder es kann über „schuldig“ oder „nicht schuldig“ abgestimmt werden. Nach der Rede zur Lage der Nation am Dienstag ist Clintons Popularität weiter gestiegen. Meinungsumfragen zufolge wollen 76 Prozent der Bevölkerung, daß Clinton seiner Arbeit nachgeht.