Die Angst vorm Kleingedruckten

Der Stopp der Wiederaufarbeitung ist entschädigungsfrei möglich, ließ die Bundesregierung bislang verkünden. Doch offenbar ist sie sich nicht mehr ganz so sicher  ■ Von Matthias Urbach

Berlin (taz/dpa/rtr) – Entschädigung oder nicht? Im großen Polit- Theater um den Stopp der Wiederaufarbeitung ist das immer noch die Frage. Während Großbritannien und Frankreich – ganz im Sinne der Wahrung eigener Interessen – auf Schadenersatz für die Kündigung der Atomverträge bestehen, hat die Bundesregierung bisher stets verkündet, daß das zweifelsfrei nicht nötig sei. Doch gestern nun räumte Regierungssprecher Karsten-Uwe Heye ein, daß das Bundesjustizministerium noch das eine oder andere „Kleingedruckte“ überprüfen müsse.

Anlaß für Heyes Bemerkung war ein Bericht der Nachrichtenagentur dpa, wonach aus einem internen Schreiben des Justizministeriums hervorgehe, daß auch ein gesetzlich verfügter Stopp der Wiederaufarbeitung eine Verletzung von völkerrechtlichen Verpflichtungen darstelle. Der Sprecher des Justizministeriums, Bernhard Böhm, dementierte gegenüber der taz diese Darstellung. „Wir haben überhaupt noch keine Bewertung, weil wir den Gesetzentwurf erst seit einer Woche haben.“ Es werde noch sechs Wochen dauern, bis er geprüft sei. Man brauche die Zeit, weil Justizministerin Herta Däubler-Gmelin selbst für den Ausstieg sei und darauf achte, daß die Atomrechtsnovelle seriös ausfalle.

Laut dpa heißt es in dem Papier, der Notenwechsel zwischen den Regierungen habe deutlich den Charakter einer völkerrechtlichen Verpflichtung. Böhm sagte, bei diesem Schreiben handele es sich keineswegs um eine Bewertung der Atomnovelle durch das Ministerium. Vielmehr sei es eine erste Bewertung einer Greenpeace-Studie durch einen Referatsleiter. Im Gutachten des Umweltverbandes habe es geheißen, es gebe keine völkerrechtliche Risiken. Nur dieser Interpretation habe der Referatsleiter widersprochen, so Böhm. Die ausgetauschten Noten seien nun erst beim Umweltministerium angefordert worden: „Wir kennen diese Texte noch gar nicht.“

Trotz der Prüfung soll die Atomnovelle wie geplant am Mittwoch durchs Kabinett gehen. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens könnten „noch zusätzliche Aspekte“ eingearbeitet werden, sagte Regierungssprecher Heye, der sich aber zuversichtlich gab, daß am Ende kein Schadenersatz gezahlt werden müsse.

Gestern trafen sich Bundeskanzler Schröder, Umweltminister Trittin und Wirtschaftsminister Müller zur Abstimmung für die Konsensgespräche mit den Stromkonzernen. Am Montag wird sich der Kanzler mit den Konzernchefs treffen, am Dienstag beginnt dann offiziell die Konsensrunde. Kanzleramtsminister Bodo Hombach signalisierte der Atomwirtschaft Verhandlungsbereitschaft. Zwar wolle die Koalition zum 1. Januar 2000 die Wiederaufarbeitung beenden. Aber die „reale Ausgestaltung, die Wege dahin“ müßten noch besprochen werden. Auch müsse gewährleistet werden, daß es einen „Entsorgungspfad“ gebe, der den Betrieb der Reaktoren sichert.