Steiniger Weg zum deutschen Paß

■ Die Berlinerin Latife Kiranta, die 1972 nach Deutschland kam und heute Arbeitslosenhilfe bezieht, fürchtet, daß es nach dem neuen Gesetz nicht mehr klappt mit der Einbürgerung

Auf das Zuckerfest, das Ende des Fastenmonats Ramadan, hat sie sich eigentlich gefreut. Doch als die Türkin Latife Kiranta mit ihren Freundinnen und Bekannten im Nachbarschaftsheim im Berliner Bezirk Neukölln an geschmückten Tischen sitzt, vor ihr bunte Berge mit Süßigkeiten, kann sie sich nicht richtig entspannen. Mühsam quält sich die 59jährige ein Lächeln ab, als die Musik aufspielt. „Ich habe Angst, daß ich nicht eingebürgert werde“, sagt sie. Diesen Sommer, zu ihrem 60. Geburtstag, wollte sie endlich den Antrag stellen. Doch jetzt, nachdem der Entwurf zum neuen Einbürgerungsgesetz in Bonn vorgestellt wurde, befürchtet sie, daß es nicht mehr klappt mit dem deutschen Paß. Nicht zu Unrecht.

Die deutsche Staatsbürgerschaft ist künftig nicht nur an ausreichende Sprachkenntnisse, an Verfassungstreue und Straffreiheit geknüpft, sondern auch daran, daß der Antragsteller keine Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe beziehen darf (siehe Kasten unten). Dabei ist es egal, ob die Arbeitslosigkeit selbst verschuldet ist oder nicht.

In der Firma ist nur der Chef ein Deutscher

Latife Kiranta kann sich nichts vorwerfen: Die Türkin kommt 1972 aus Izmir in die Bunderepublik Deutschland, lebt kurz in Karlsruhe und dann in Berlin. In Berlin arbeitet sie als Fabrikarbeiterin. Bei der Firma Sarotti sortiert sie Schokoladentafeln am Band, bei Trumpf Osterhasen und Weihnachtsmänner.

Von dem süßen Dampf, der ständig in der Luft liegt, wird sie krank und muß zeitweilig aufhören zu arbeiten. In einer kleinen Teppichfabrik verbessert sie Webfehler. Nachdem der Betrieb Konkurs anmeldet, verdingt sich Latife Kiranta in einer Papierfabrik: Dort werden Kassenbon-Rollen hergestellt. Die 20 Angestellten sind TürkInnen, nur der Chef ist ein Deutscher. Latife Kiranta arbeitet acht Stunden am Tag, verdient 1.300 Mark netto, wie sie erzählt. „Die Arbeit war schwer“, sagt sie und faßt sich an den Rücken. Sie hat Probleme mit der Wirbelsäule und kann ihre rechte Hand nicht mehr richtig bewegen.

1995 macht die Papierfertigung dicht: Latife Kiranta und ihre KollegInnen sitzen ohne Abfindung auf der Straße. Zweieinhalb Jahre lang bekommt die mittlerweile 56jährige Arbeitslosengeld und dann Arbeitslosenhilfe – derzeit 540 Mark monatlich. Sie wohnt bei einem ihrer beiden Söhne und kommt so mit ihrer kärglichen Unterstützung gerade so über die Runden. Latifes Mann ist vor zehn Jahren gestorben.

An ihren 60. Geburtstag sollte es dann passieren: Latife Kiranta wollte einen Einbürgerungsantrag stellen. Ein rundes Datum, ein neuer Lebensabschnitt. Als Rentnerin. Auch möchte sie endlich mal wieder in die Türkei fahren und auch ohne Schwierigkeiten zurückkommen dürfen. Das ist mit einem deutschen Paß wesentlich unproblematischer.

Doch weil ihre Rente sehr niedrig sein wird – Latife Kiranta wird nur rund 600 Mark monatlich erhalten –, ist sie auf ergänzende Sozialhilfe angewiesen. Der deutsche Paß rückt mit dem deutschen Gesetzesentwurf deshalb in weite Ferne, denn sie hat keinen rechtlichen Anspruch mehr auf eine Einbürgerung.

Kiranta ist beunruhigt, genauso wie viele ihrer türkischen Bekannten. Im Nachbarschaftsheim ist die doppelte Staatsbürgerschaft an diesem Tag das bestimmende Thema. „Ich bin enttäuscht“, sagt ein älterer türkischer Besucher. „Wir haben von der SPD und den Grünen mehr erwartet.“ Auch er wird Schwierigkeiten haben, einen deutschen Paß zu bekommen, denn er war selbständig. Sein kleiner Elektrobetrieb ging pleite, seitdem ist er auf Sozialhilfe angewiesen.

Barbara John, die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, geht davon aus, daß nur etwa 200.000 der 400.000 in Berlin lebenden Ausländer eine zweite Staatsbürgerschaft beantragen können. In Berlin waren Ende vergangenen Jahres rund 33 Prozent der Nichtdeutschen arbeitlos – im Vergleich zu 15 Prozent bei den Deutschen. „Der Weg zum deutschen Paß wird durch den Sozialhilfepassus steiniger und länger“, sagt auch Bernd Knopf, Sprecher der grünen Bundes-Ausländerbeauftragten Marieluise Beck. „Diese Regelung fällt hinter bestehendes Recht zurück.“ Petra Mikoleit, Leiterin der Einbürgerungsstelle im Berliner Bezirk Wedding, fordert deshalb Nachbesserungen des Gesetzentwurfs. „Das ist eine unzumutbare Härte in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit“, sagt sie. Viele, wie Latife Kiranta, hätten nicht selbst verschuldet, daß sie Arbeitslosenhilfe oder Sozialhilfe bezögen.

Latife Kiranta hat sich trotzdem entschlossen, einen Antrag zu stellen. Sie möchte ein unabhängigeres Leben führen. Nicht mehr bei ihrem Sohn in einer Zweieinhalb- Zimmer-Wohnung leben müssen, wo auch noch dessen Ehefrau und zwei Kinder wohnen. In die Türkei fahren, wann sie will. Dafür braucht sie einen deutschen Paß. Doch von Sozialhilfe wird sie immer abhängig sein. Julia Naumann