„Wir sollten von den Franzosen lernen“

■ Ozan Ceyhun, Abgeordneter für die Bündnisgrünen im Europaparlament, über die Staatsangehörigkeitsdebatte in Deutschland und die Integrationsmodelle anderer Staaten

taz: Herr Ceyhun, in Deutschland schlägt die Diskussion um Doppelstaatlichkeit wieder hohe Wellen, seit der Entwurf der rot- grünen Regierung auf dem Tisch liegt. Was sagen unsere europäischen Nachbarn zu dem Streit?

Ozan Ceyhun: Ich habe am Mittwoch in Rom mit italienischen Grünen eine Pressekonferenz gegeben. Eigentlich ging es um die Kurdenproblematik. Von den Journalisten wurde ich aber hauptsächlich danach gefragt, was wir in Deutschland gerade für eine merkwürdige Debatte führen und wie ich dazu stehe. In den Nachbarländern versteht man die Aufregung bei der CDU/CSU nicht. Gerade Helmut Kohl ist doch ein großer Europäer. Nun wird von französischen und englischen Konservativen erstaunt registriert, wie die deutschen Konservativen mit dem Thema im eigenen Land umgehen.

Herr Stoiber hat ja wohl weniger Ausländer aus anderen EU- Staaten im Blick, wenn er vor Doppelstaatlichkeit warnt?

Ich nehme an, daß es der CSU eigentlich bei der ganzen Angelegenheit gar nicht um die doppelte Staatsbürgerschaft geht. Sie hat in Wahrheit Probleme mit der erleichterten Einbürgerung. Es widerstrebt ihr, daß Menschen aus dem islamischen Kulturkreis in Zukunft so einfach eingebürgert werden sollen. Die jetzige Diskussion ist nur vorgeschoben.

In den Ländern Europas gibt es verschiedene Modelle, wie staatsrechtlich mit Migranten umgegangen wird. Welches dieser Modelle fördert nach Ihrer Überzeugung die Integration am meisten?

Wir sollten von den Franzosen lernen. Wer in Frankreich geboren wird, ist Franzose – mögliche weitere Staatsbürgerschaften interessieren den Staat nicht. Er vermittelt Neubürgern von Anfang an das Gefühl dazuzugehören – mit allen Rechten und Pflichten. Wenn wir vor Jahren akzeptiert hätten, daß wir ein Einwanderungsland sind, hätten wir heute viele Probleme nicht. Sogar das Problem, daß sich heute viele junge Kurden mit der PKK identifizieren, wäre wohl nicht entstanden, wenn wir diesen Menschen das Gefühl vermittelt hätten, zur deutschen Gesellschaft zu gehören.

Auf europäischer Ebene wird seit längerem darüber nachgedacht, ob nicht die nationalen Staatsbürgerschaften zugunsten eines europäischen Passes aufgegeben werden sollten. Wie weit sind diese Überlegungen gediehen?

Was das Europäische Parlament betrifft, sind sie auf dem Papier schon beschlossene Sache. Jetzt sind die Nationalstaaten dran. Leider passiert auf nationaler Ebene in diesem Bereich nicht viel.

Wie erklären Sie sich den Widerspruch, daß gerade ein Land wie Frankreich, in dem das Staatsbürgerschaftsrecht so vorbildlich geregelt ist, Ansätze auf europäischer Ebene blockiert?

Auf diese Frage habe ich keine schlüssige Antwort. Vielleicht kommt dort etwas in Bewegung, da Daniel Cohn-Bendit mit deutschem Paß Spitzenkandidat der französischen Grünen für die Europawahl im Juni 1999 ist.

Ihr Parteifreund Cohn-Bendit behauptet, Identität sei ohnehin nicht an einen Paß gebunden. Teilen Sie diese Erfahrung?

Jeder Mensch muß für sich selbst entscheiden, wie er damit umgeht. Ich brauche auch keinen türkischen Paß, um deutlich zu machen, daß ich in der Türkei geboren wurde und heute noch vieles alltäglich praktiziere, was ich mir in zwanzig Jahren dort angewöhnt habe. Aber es gibt Menschen, die brauchen diesen äußeren Ausdruck der Zugehörigkeit.

Was glauben Sie: Wie lange wird es noch dauern, bis sich die nationalstaatlichen Debatten erledigt haben, weil sich die Menschen in Europa als europäische Staatsbürger begreifen?

Gerade was Einwanderungs- und Asylpolitik angeht, sind die Positionen in Europa noch weit voneinander entfernt. Alle wollen europäische Harmonisierung und gerechte Lastenverteilung. Aber wenn es konkret wird, will keiner von seiner nationalen Position abrücken. Es bedeutet eine Chance, daß die deutsche Regierung, die die Staatsbürgerschaftsdebatte im eigenen Land tapfer durchgehalten hat, nun die Ratspräsidentschaft innehat. Dadurch haben wir wirklich eine Chance, das Thema Demokratie, Bürgerrechte und Staatsangehörigkeit im Europawahlkampf auf allen Ebenen sehr aktiv zu behandeln. Interview: Daniela Weingärtner