Asphaltierte Wege zu Wachstum und Wohlstand

Autofahrer sollen die City retten, fordern Einzelhändler und Handelskammer ungeachtet der Wünsche ihrer Kunden. Hamburg und der Verkehr, Teil II  ■ Von Florian Marten

Ludwig Görtz traut, so scheints, plötzlich seinen eigenen Produkten mehr. Statt für Schusters Rappen zu werben, denen er Wohlstand und Aufstieg verdankt, gilt sein aktuelles Begehren Dunlops Gummiwalzen: „Die Hamburger City lebt vom Autofahrer, und ich hoffe, daß auch die Baubehörde das endlich begreift!“ tönte vorige Woche der Chef der Hamburger Einzelhandelsverbände, der doch sein Vermögen den Schuhläden in besten, fußläufigen City-Lagen verdankt.

Ludwig Görtz ist kein Einzelfall. Ob am Grindelhof oder in der Neuen Großen Bergstraße, ob im Neuen Wall oder am Spritzenplatz – allüberall träumen Hamburgs geplagte Einzelhändler von den Kunden mit den dicken Family-Vans, deren gierige Heccklappen nur darauf warten, mit Waren aller Art beladen zu werden.

In den vergangenen Wochen haben Hamburgs Händler, unterstützt von der Handelskammer, eine regelrechte Kampagne für ein verkehrspolitisches Rollback gestartet. Handelskammerpräses Nikolaus Schües las in seiner Silvesteransprache SPD-Bürgermeister Ortwin Runde die Leviten: „Die achtziger und die neunziger Jahre waren zwei verlorene Jahrzehnte für den Straßenbau in Hamburg. Mehr Wege zu Wachstum und Wohlstand führen über eine Renaissance vernünftigen Straßenbaus, damit mögliches Wachstum nicht erdrosselt und womöglich an Hamburgs Konkurrenten verschenkt wird.“

Ludwig Görtz registriert zwar voller Freude, daß der Senat das „Thema City endlich ernst nimmt“, sorgt sich aber, ob dabei genug an den Autokunden gedacht wird. Die Handelskammer legt in ihrem verkehrspolitischen Manifest „Forderungen zum Ausbau des Hamburger Straßennetzes“ nach: „Das verkehrliche Abschnüren der City hatte unmittelbare negative Auswirkungen auf die Wirtschaft: Die Zahl der City-Besucher ging von 1992 auf 1996 um 31 Prozent zurück. Die Lage des Einzelhandels hat sich dramatisch verschlechtert. Nicht ohne Grund spielt in den derzeit laufenden Bemühungen zur Attraktivitätssteigerung der City ihre Erreichbarkeit für PKW-Kunden eine wesentliche Rolle.“

Dabei ist die Formel „Autoverkehr = Einkaufsverkehr = Einzelhandelsumsatz“ durch wissenschaftliche Untersuchungen und praktische Erfahrungen längst widerlegt. So konstatierte jüngst eine Studie, die sich im Auftrag des Bundesbauministeriums empirisch mit Verkehrsberuhigung auf innerstädtischen Hauptverkehrsstraßen beschäftigt: „Die Einrichtung von Fußgängerzonen wirkt sich positiv auf die Umsatzentwicklung des Handels in den Stadtzentren aus.“ Und: „Die Unternehmen haben insgesamt ein falsches Bild von der Kundenmeinung über die Erreichbarkeit ihrer Betriebsstandorte.“ Auch über die tatsächlichen Wünsche der Kunden grassieren irrige Vorstellungen: „Die Forderung des Handels nach mehr Parkplätzen findet keine Entsprechung bei den Kundenwünschen.“

Statt dessen führen Forderungen nach „einem besseren Einzelhandelsangebot“ und einer „fußgängerfreundlicheren Gestaltung“ mit weitem Abstand die Hitliste der Kundenwünsche an. Die nordrhein-westfälischen Wissenschaftler Ulrich Hatzfeld und Rolf Junker schlußfolgern: „Letztendlich entstehen Kundenströme nicht aufgrund einer günstigen PKW-Erreichbarkeit, sondern wegen lohnender Ziele.“ Ein „attraktives Angebot, verknüpft mit einer fußgängerfreundlichen Gestaltung“ sei deshalb die erfolgversprechendste Strategie, um einer innerstädtischen Einkaufsstraße zu mehr Umsatz zu verhelfen.

Die Umsatzkrise der Hamburger City und vieler Bezirkszentren könnte, folgt man diesen Experten, denn auch eine ganz andere Ursache haben: Anfang der 90er Jahre verhinderte die Handelskammer einen wirklich fußgängerfreundlichen Umbau der City. Wo immer Bezirkszentren sich um mehr Attraktivität des öffentlichen Raumes bemühen, kämpfen Einzelhandel und Handelskammer um jeden Quadratzentimeter Straßen- und Stellplatzfläche.

Wer in die Statistik der Hamburger Einzelhandelsumsätze guckt, entdeckt denn auch einen ganz anderen Zusammenhang: Die Abschaffung der Straßenbahn im Jahr 1978, welche die Nahverkehrserschließung der Innenstadt auf Busse und weitläufige Schnellbahnkatakomben reduzierte, setzte das Signal für den Niedergang der City. Verschärft wird dieses Problem durch Hamburgs schlechte Verbindungen mit dem Umland: Im Vergleich zu München, Frankfurt, Stuttgart, Hannover oder Köln ist das Netz des Verkehrsverbundes im Umland dünn und oft von schlechter Qualität.

Ein Verkehrsplaner, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will, weil er auf Aufträge der Baubehörde angewiesen ist: „Hamburgs City leidet nicht unter zu wenig Autoverkehr, sondern unter einer zu schlechten Nahverkehrserschließung.“ Zudem sei die Verkehrsberuhigung der City zu Anfang der 90er Jahre ein fauler Kompromiß gewesen: „Warum Jungfernstieg, Neuer Wall, Große Bleichen und Mönckebergstraße keine Fußgängerzonen wurden, durch die Elektrobusse und Straßenbahnen verkehren, ist mir bis heute nicht klar.“