„Ausländerfreunde“ machen mobil

An einigen Ständen der Berliner CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft kam es am Wochenende zu handgreiflichen Auseinandersetzungen sowie zahlreichen Festnahmen  ■ Von Julia Naumann

Kuno Böse hat es an diesem Abend nicht leicht. Der CDU-Innenstaatssekretär wollte seine Parteifreunde beim Unterschriftensammeln gegen die doppelte Staatsbürgerschaft unterstützen. Deshalb war er an den Stand auf dem Hermannplatz in Neukölln gekommen, wo der Ausländeranteil bei 20 Prozent liegt. Doch er kam gar nicht richtig zum Zuge. Immer wieder sprachen ihn Passanten – oft nicht-deutscher Herkunft – an und äußerten ihren Unmut über die Kampagne. Ein Türke fragte ihn erbost, warum die CDU in ihrer 16jährigen Regierungszeit nichts für die Integration von Ausländern getan habe und jetzt mit den Unterschriftenlisten neuen Rassismus schüre. „Die CDU ist unglaubhaft“, sagte er.

Die Argumente von Innenstaatssekretär Böse klangen hölzern und bürokratisch: Viele Paragraphen seien im Ausländergesetz zugunsten einer besseren Integration verändert worden, sagte er. Als etwa zwanzig Jugendliche anfingen, „Nazis raus“ zu brüllen, schimpfte er: „Das hat doch damit nichts zu tun.“

Obwohl ein CDUler versicherte, sie würden pro Stunde 300 Unterschriften zusammenkriegen, waren die Gegner der Aktion am Freitag abend eindeutig präsenter: Antifaschistische und türkische Gruppen verteilten Flugblätter und trugen Plakate mit der Aufschrift: „Bin ich eine Gefahr für Deutschland?“ Auch die Grünen hatten einen Stand mit Informationsmaterial aufgebaut und verteilten Broschüren. Die Stimmung vor dem Kaufhaus war erhitzt. Überall diskutierten kleine Gruppen, meistens ganz normale Passanten, über die doppelte Staatsbürgerschaft.

Der CDU-Stand geriet darüber fast ins Vergessen. Mit einem Megaphon versuchte ein CDUler, sich Gehör zu verschaffen. „Wir sind für die Integration, aber gegen die doppelte Staatsbürgerschaft“, rief er immer wieder und wurde prompt niedergebuht. Unter den Unterschriftensammlern waren auch einige CDUler nicht-deutscher Herkunft. Einer von ihnen ist ein Mann, der aus Sri Lanka stammt, seit 38 Jahren in Deutschland lebt und eine Jacke trägt mit einem Sticker „Jammert nicht, ich habe CDU gewählt.“ Sein Argument: „Niemand braucht zwei Staatsangehörigkeiten“.

Diejenigen, die trotz des Protestes unterschrieben, mußten nicht erst überredet werden. Zum Beispiel Ursula Reimer aus Neukölln. „Ich bin heute extra hierhergekommen, um zu unterschreiben“, sagte die Hauspflegerin. Die 48jährige ist für einen Zuzugsstopp für Nicht-Deutsche in ihrem Viertel, weil sich dort nur noch ausländische Geschäfte befänden. Die „Mischung“ stimme schon jetzt nicht mehr. Ausländerfeindlich sei sie nicht, betonte sie. „Ich wähle außerdem SPD.“

Als die CDU-Mitglieder um 17 Uhr, eine Stunde früher als geplant, ihren Stand abbauten, war der Kreuzberger Kreisvorsitzende der Jungen Union, Scott Körber, enttäuscht: „Die Gegenaktionen haben abgeschreckt“, sagte er. Doch er betonte: „Die Sammlung ist dennoch erfolgreich gelaufen.“ Er habe sehr viele Unterschriften gesammelt und viel diskutiert: „Dabei waren die Ausländer zugänglicher als die linken Kräfte.“ Als ihm ein Passant vorwarf, daß die CDU mit ihrer Aktion Stimmung unter Rechtsextremen mache, sagte er: „Wir können doch nichts dafür, daß die Rechten das gut finden.“ Seine Begründung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft: Türkische Parteien könnten hier Ableger gründen, und die Türken würden dann diese und nicht die deutschen Parteien wählen.

Auch die PDS protestierte gegen die Unterschriftenaktion. Sie verteilte auf dem Breitscheidplatz täuschend echte „Doppel-Pässe“ mit Argumentationshilfen für eine doppelte Staatsbürgerschaft. Einen CDU-Stand gab es dort allerdings nicht. Die Landesvorsitzende Petra Pau begrüßte am Samstag vormittag erneut den Vorstoß der Bundesregierung. Kritik übte sie jedoch an der geforderten Verfassungstreue und der geplanten Regelung, daß Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger keinen Doppelpaß bekommen sollen.

Einen Kilometer weiter, am Wittenbergplatz, sammelte die CDU-Schöneberg Unterschriften. Antifaschistische und türkische Gruppen sowie einige Grüne erschwerten mit ihren Protesten den Zugang zu dem Parteistand, der von Polizisten geschützt werden mußte. Am frühen Morgen war es dort und an anderen Ständen zu Auseinandersetzungen gekommen: Gegendemonstranten hatten Stände umgeworfen, CDUler mit Eiern und Farbbeuteln befeuert und beschimpft. Nach CDU-Angaben wurden wiederholt auch ausgefüllte Unterschriftenlisten entwendet. Nach den Rangeleien hatte die CDU die Polizei zu Hilfe gerufen. Rund 21 Störer wurden vorläufig festgenommen.

Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats, Barbara John (CDU), die die Aktion ihrer Partei selbst nicht unterstützt, kritisierte in einer Pressemitteilung „die selbsternannten Ausländerfreunde“ und warf ihnen vor, die Freiheit Andersdenkender mit Füßen zu treten. Der Berliner CDU- Generalsekretär Volker Liepelt demonstrierte auf dem Berliner Landesparteitag der Union am Wochenende Gelassenheit: „Wir werden uns in unserer sachlichen, argumentativen Gesprächsführung nicht beeindrucken lassen.“ Nach CDU-Angaben wurden seit Beginn der Aktion allein in Berlin schätzungsweise 15.000 Unterschriften gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gesammelt.