„Die Kumpel sind verzweifelt“

Auch nach dem Ende ihres Protestmarsches sehen die rumänischen Bergarbeiter schwarz für ihre Zukunft. Über die Rolle von Streikführer Cozma sind sie sich uneins  ■ Aus Petrosani Keno Verseck

Der Panzermotor heult schrecklich auf. Von seinem Dröhnen vibriert die Luft, der Asphalt zittert unter den Füßen. Doch trotz Maximalbelastung bewegt sich das stählerne Ungetüm keinen einzigen Zentimeter von der Stelle. Das Getriebe funktioniert plötzlich nicht mehr, und deshalb kann der Panzer nicht die Rampe des Schwerlasttransporters hinauffahren. Die Soldaten geben ihren Versuch auf.

Hätten sie notfalls auf die Bergarbeiter geschossen, um ihren Marsch in die rumänische Hauptstadt Bukarest zu verhindern? „Wir hatten ja gar keine Munition“, sagt einer. Ein anderer widerspricht: „Aber wir hätten welche bekommen. Und dann hätten wir auf Leute schießen müssen, die unsere Eltern oder unsere Geschwister sein könnten.“ Sie hätten also geschossen? Die Rekruten blicken schweigend zu Boden. Sie haben fast noch Kindergesichter. „Befehl ist Befehl“, wirft einer unsicher in die Runde.

Rumänien am Samstag morgen. Noch weit hinter der Bukarest ist nichts davon zu spüren, daß im Land vor Stunden fast der Ausnahmezustand ausgerufen worden wäre. Erst einige Autominuten vor Rimnicu Vilcea, 200 Kilometer nordwestlich von Bukarest – der Stadt, in der die zehntausend revoltierenden Bergarbeiter zuletzt lagerten –, stehen noch vereinzelt Panzer und warten darauf, abtransportiert zu werden.

In Rimnicu Vilcea beseitigt die Stadtreinigung die Spuren, die die Bergarbeiter hinterlassen haben: Abfall, mit dem das ganze Zentrum übersät ist, Scherben, Steine. Vor dem Gebäude der Präfektur diskutieren ein paar Leute aufgeregt die Ereignisse vom Vortag. „Cozma wollte den Kommunismus wieder einführen“, erregt sich einer über den Führer der Bergarbeiter. „Die Leute wären ihm gar nicht gefolgt, wenn sie nicht so verzweifelt wären und nicht jeden Tag mitanschauen müßten, wie einige in diesem Land Milliarden stehlen, ohne verurteilt zu werden. Vielleicht ist das ja endlich eine Lektion für die Machthaber.“

Der Weg ins Schiltal, 350 Kilometer nordwestlich von Bukarest, führt durch eine enge, idyllische Schlucht in den Karpaten. Die Dutzenden Sperren aus Betonblöcken, Sand und Felsbrocken sind nur soweit beseite geräumt, daß gerade ein Bus durchkommt. Nach dreißig Kilometern öffnet sich die Schlucht auf 600 Metern Höhe ins weite Tal zur Stadt Petrosani und gibt den Blick frei auf die hohen Türme der Minen.

In der Nacht sind die Bergarbeiter zurückgekehrt und haben ihren Sieg gefeiert. Nun herrscht auf den Straßen von Petrosani Ruhe. Die Stadt macht den Eindruck, als sei nichts geschehen. Im Zentrum stehen großzügige Altbauten aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Um sie herum drängen sich im ganzen Tal verfallene Neubauten, bis unmittelbar an die Minen heran. In einer Kneipe in der „Straße der Einheit“ sitzen ein paar Dutzend Kumpel und diskutieren über ihren Gewaltmarsch auf die Hauptstadt. Als der Besucher sie nach den Ereignissen fragt, reden alle durcheinander. Cozma ist ihr Gott, ein Mann, „so wie er nur einmal alle hundert Jahre geboren wird“. Sie wären auch bis Bukarest marschiert, wenn es hätte sein müssen, sie verstehen nicht, warum der Ministerpräsident nicht gleich mit ihren Führern verhandelt hat, und sie schimpfen über die Presse, die sie seit ihren Überfällen auf die Hauptstadt 1990 und 1991 ständig als schwarze Schafe darstellt „und glaubt, daß wir Millionäre sind“. Aurel, ein gut angezogener Mann, erzählt gelassen von den Auseinandersetzungen. „Wir haben keine genialen strategischen Pläne gehabt, das sind Märchen. Wir waren einfach gut organisiert und wußten, was wir wollten. Die Polizei hat bei Costesti den Fehler gemacht, daß sie einige Dorfbewohner verprügelten. Die Leute in dem Dorf waren so wütend, daß sie uns alle Stellungen verraten haben.“ Aurel glaubt nicht, daß die Bergarbeiter von ihrem Führer Miron Cozma manipuliert und aufgehetzt waren. „Die Kumpel sind verzweifelt, und deshalb sind sie losmarschiert.“

Vasile, ein schmächtiger, angetrunkener Mann um die Dreißig, zieht den Besucher auf die Straße und in seine Wohnung im gegenüberliegenden Block. Er lebt hier in zwei kleinen Zimmern mit seiner Frau und zwei Kindern. An den Wänden blättert die rostrosa Farbe ab. Die Heizung ist kalt, aber ein Elektroherd läuft mit voller Leistung, damit es warm wird. Vasile kramt seinen letzten Lohnzettel und einige Rechnungen aus einem Schrank. Er verdient als Bergarbeiter 1,5 Millionen Lei, 230 Mark, knapp das Doppelte eines rumänischen Durchschnittslohnes. Auf der Abrechnung sind 300.000 Lei für neue Arbeitskleidung abgezogen; die Nebenkosten für die Wohnung machen monatlich ebensoviel aus. Was übrigbleibt, ist ein erbärmliches Existenzminimum. „Wie soll ich von meinem Lohn vier Menschen ernähren?“ fragt sich Vasile immer wieder und nimmt noch einen Schluck aus der Bierflasche.

Zurück in der Kneipe erzählt ein Mann um die Vierzig, daß er bei der ersten Entlassungswelle 1997 eine Entschädigung von 20 Millionen Lei, damals rund 5.000 Mark, bekommen und einen EDV-Umschulungskurs absolviert hat. Von einem Teil des Geldes hat er sich einen Computer gekauft, von dem Rest während der letzten anderthalb Jahre gelebt. Obwohl er nun mit Computern umgehen kann, ist er arbeitslos.

In den Bergarbeitersiedlungen des Schiltals leben 270.000 Menschen. Mehr als zwei Drittel davon sind Bergarbeiter. Die Steinkohle, die hier gefördert wird, hat nur einen geringen Brennwert. Die Bergarbeiter holen sie mit Hacke und Schaufel aus den Stollen. Für Rumänien wäre es billiger, Kohle zu importieren, doch die Regierung weiß nicht, wohin mit den Bergarbeitern und kann ihnen zur Zeit nichts anderes anbieten als einige hundert schlecht bezahlte Arbeitsplätze im Straßenbau und in der Stadtreinigung.

„Alles, was uns die Regierung angeboten hat, ist lächerlich“, sagt ein Bergarbeiter, der im technischen Dienst der Mine Livezeni arbeitet. „Ich kann mich doch mit 45 Jahren nicht mehr an einen Computer setzen oder einen Management-Kurs machen. Und selbst wenn, es gibt hier doch keine anderen Arbeitsplätze!“

Die Anlagen um die Mine Livezeni sehen verfallen aus, so als hätte hier schon seit Jahren niemand mehr gearbeitet. Seit den Weihnachtsfeiertagen steht sie still. Nur noch Grubeningenieure und Techniker versehen den Dienst, damit es nicht zu Explosionen durch das aus den Stollen strömende Methangas kommt.