Indonesien auf dem Weg in die Gesetzlosigkeit

■ Die tagelangen Unruhen in den Molukken zeigen den Machtverlust der Regierung in Jakarta

Bangkok (taz) – Wie konnte die Stadt Ambon auf den Molukken- Inseln zum Schauplatz der blutigsten Unruhen Indonesiens seit dem Sturz von Präsident Suharto werden? Auf Ambons Straßen herrscht der Mob mit Macheten, Sicheln, Speeren. 49 Menschen sind nach Polizeiangaben seit dem vergangenen Dienstag ums Leben gekommen. Unter den Augen hilfloser Soldaten habe zuletzt eine christliche Menge fünf Männer erschlagen und verbrannt, weil sie Muslime waren, hieß es am Wochenende. Sieben Moscheen, neun Kirchen und 189 Häuser gingen bislang in Flammen auf. Der Flughafen war in den letzten Tagen nur für Militärs geöffnet – mit Ausnahme von Evakuierungsflügen für rund 150 Ausländer, meist Missionare und Touristen.

Die Regierung verhängte am Samstag über Ambon ein Ausgehverbot und ermächtigte die Sicherheitskräfte zum Einsatz von Schußwaffen. Der Hafen lag verlassen, die meisten Straßen waren verödet. Soldaten durchsuchten verkohlte Ruinen nach Leichen. Um zu verhindern, daß Bilder brennender Moscheen und Kirchen neue Unruhen stiften, haben die Behörden vor Ort eine Nachrichtensperre verhängt. Auch auf mehreren Nachbarinseln Ambons bekämpften sich rivalisierende Banden. Zuletzt ging das Gerücht, größere Gruppen muslimischer Fischer aus Südsulawesi seien unterwegs, um den Kampf gegen die Christen zu unterstützen.

Noch vor kurzem galt Ambon, 2.000 Kilometer nordöstlich von Jakarta, als Symbol religiöser Toleranz: In der Haupstadt der malerischen Gewürzinseln, wo die Seefahrer und Kaufleute aus aller Welt Nelken und Muskatnuß suchten, beteten die Bewohner friedlich nebeneinander in Moscheen und Kirchen. Anders als in den meisten Regionen Indonesiens, wo 85 Prozent der Bevölkerung Muslime sind, waren hier die Christen in der Mehrheit.

Doch unter der Oberfläche herrschten Spannungen, die nun – wie überall in dem 210-Millionen- Staat mit seinen unzähligen ethnischen und kulturellen Eigenarten – ausbrechen. Was auf den Molukken als „religiöse Unruhen“ erscheint, sind vor allem Konflikte zwischen (überwiegend christlichen) alteingesessenen Bewohnern und (meist muslimischen) Zuwanderern von anderen Inseln. Es gibt Streit um Fischgründe, Geschäfte und Land. Zugleich wuchs die wirtschaftliche Not – und die Verachtung gegenüber Beamten und Polizisten, die von der geschwächten Regierung im fernen Jakarta keine Hilfe erwarten können. Noch sind die genauen Ausmaße der Unruhen auf den Molukken nicht klar, Journalisten konnten in den letzten Tagen nicht nach Ambon gelangen.

Die Unfähigkeit der Armee, Unruhen zu stoppen, wird immer augenfälliger. Nach dem Ende des Ramadan wollen jetzt auch die Studenten wieder auf die Straße gehen. Politische Machtkämpfe im Vorfeld der Wahlen im Juni heizen das Klima an. Zur Unterstützung der rund 500.000 Polizisten und Soldaten hat die Militärführung vergangene Woche begonnen, 40.000 arbeitslose junge Männer als zivile Hilfstruppe zu rekrutieren. Das ist heftig umstritten: Viele Bewohner Jakartas erinnern sich an die Unruhen in der Haupstadt im letzten November, als solche Milizen die Bevölkerung terrorisierten. Nach heftigen Protesten zog die Armee ihre „Helfer“ schließlich aus dem Verkehr. Die Appelle von Präsident B.J. Habibie, Ruhe zu bewahren, klingen mittlerweile fast verzweifelt. Jutta Lietsch