: "Scheißdeutscher - geh zurück"
■ Der Europa-Spitzenkandidat der französischen Grünen, Daniel Cohn-Bendit, über den Atomausstieg und antideutsche Ressentiments. La Hague kann wichtige Rolle beim Atomausstieg spielen
taz: Sie sind bei einer Wahlkampfveranstaltung in der Wiederaufbereitungsanlage La Hague als Spitzenkandidat der französischen Grünen zur Europawahl übel beschimpft worden. Wie kam das?
Cohn-Bendit: Im Grunde genommen ist die Atomindustrie in Frankreich immer ein Geheimbund gewesen, der Unternehmen, Gewerkschaften und Kommunalpolitiker eingeschlossen hat. Alle hängen sie von der Atomindustrie ab. Wenn man dann in so ein Unternehmen kommt, machen sie die Schotten dicht.
Was passierte denn genauer in La Hague?
Dann gab es Sprüche wie „Schwule Sau“, „Arschficker“, „Scheißdeutscher – geh zurück“, „Drecksjude“. Und dann gab es eine Demonstration von gewählten Vertretern aus der Umgebung mit Trikolore um den Bauch gehängt, da hat einer der Demonstranten in Anwesenheit der Volksvertreter, die sich totgelacht haben, Sachen gesagt wie: „Wenn die Deutschen die Atomkraftwerke ausschalten, wie werden sie dann eigentlich ihre Öfen bedienen? Mit Juden!“
Wie stellen sich denn die französischen Grünen dazu, die ja immerhin mit den Sozialisten in der gemeinsamen Regierung sitzen?
Die französischen Grünen stehen hinter mir und fordern von der Regierung, Stellung zu nehmen. Aber es ist eine unangenehme Position, um so mehr, als sie als einzige politische Partei für den Atomausstieg sind. Die anderen Parteien sind schlicht Atomparteien.
Heißt das, daß die Grünen im Wahlkampf jetzt als „deutsche Vasallen“ beschimpft werden?
Der kommunistische Führer Robert Hue hat zum Beispiel gesagt, es ginge nicht an, daß Frankreich sich von den deutschen Grünen und Schröder an der Nase herumführen läßt. Da wird die französische Atompolitik als Teil der französischen Unabhängigkeit aufgebaut, die die Deutschen kippen wollen. Was früher die Maginot-Linie war, die 1939 von den Deutschen überrollt wurde – dafür soll heute offenbar die Atomenergie stehen.
Hätte die deutsche Bundesregierung, hätte Jürgen Trittin irgend etwas anders machen können, um so eine Belastung zu verhindern?
Ich glaube vor allem, daß Jürgen Trittin und die Bundesregierung für die Zukunft von La Hague eine Art industrielle Kompensation durchsetzen müssen. La Hague soll den Atommüll für die Endlagerung weiterverarbeiten. Da gibt es etwa tonnenweise Plutonium, das verarbeitet werden muß, damit es nicht als waffenfähiges Material weiterexistiert. Dazu muß es mit Atommüll vermischt werden. La Hague mit seinem technologischen Know-how kann beim Atomausstieg in Europa eine wichtige Rolle spielen. Das sichert dort Arbeit für mindestens zwanzig Jahre.
Die ganze Auseinandersetzung fällt zusammen mit der deutschen Ratspräsidentschaft in der EU. Was heißt all das für die Zukunft des deutsch-französischen Verhältnisses?
Es ist eben eines der Probleme, die die deutsche Ratspräsidentschaft lösen muß. Es bringt nicht viel, wenn Jürgen Trittin Schadensersatz strikt ablehnt, ohne die Idee der industriellen Kompensation voranzutreiben. Erst wenn man so einen Schritt macht, kann man das Problem in den Griff bekommen.
Und wenn nicht?
Dann geht die Verhärtung weiter. Die Erklärungen der Anti- Atom-Bewegung, die den Atommüll nicht zurück nach Deutschland lassen will, sind da auch wenig hilfreich – das wird in Frankfreich erst recht als extrem nationalistische Position der Deutschen angesehen.
Ein schwerer Vorwurf an die Anti-Castor-Initiativen.
Aber was soll man denn machen? Man kann nicht jahrelang gegen Mülltourismus agieren und schließlich sagen: „Pech! Jetzt sollen die Franzosen unseren Müll behalten.“
Noch Lust auf den Wahlkampf in dieser Lage?
Aber ja. Die Atomkraft ist ja nur ein Teil, da kommen in Frankreich immer noch die Jäger, die dann mit Gewehren antanzen. Eine heiße Mischung. Aber es macht Spaß. Die Grünen sind jetzt in den Umfragen in Frankreich zwischen achteinhalb und zehn Prozent. Es ist ein harter Wahlkampf, denn je klarer wir Position beziehen, desto klarer werden auch die Gegenpositionen. Interview: Bernd Pickert
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