"Die Beratung ist Christenpflicht"

■ Heute treffen die katholischen Bischöfe zusammen, um über den Verbleib der Kirche in der Schwangerschaftsberatung zu diskutieren. Der Vorsitzende der katholischen Laien, Hans-Joachim Meyer, fordert den V

taz: Steigt die katholische Kirche aus der Beratung schwangerer Frauen aus?

Hans-Joachim Meyer: Ich gehe davon aus, daß auf der Basis der Arbeitsgruppe eine konstruktive Debatte stattfindet. Darunter verstehe ich ein gemeinsames Bemühen, in der Schwangerschaftskonfliktberatung zu bleiben bei voller Klarheit der Position der katholischen Kirche zum unbedingten Schutz des ungeborenen Lebens. Sicherlich drängen einige in der Kirche zum Ausstieg. Durch den Brief des Papstes vor einem Jahr haben wir eine doppelte Aufgabe. Einerseits sieht der Papst die „Verdunklung“ des katholischen Zeugnisses für den Schutz des Lebens durch Scheine solcher Art. Andererseits erwartet er einen intensiveren Einsatz der Kirche in der Beratung.

Was heißt Verdunkelung? Ist das nicht die Frage, wie sauber sind die Hände der Kirche, wenn sie im Prozeß der Abtreibung mitmacht?

Das ist ein anderes Bild für denselben Sachverhalt. Es ist klar, daß sich die Frau in einem Konflikt befindet und man ihr in diesem Konflikt raten und helfen muß, wo es ihre Entscheidung ist. Es ist Christenpflicht, diese Chance auf Beratung wahrzunehmen, einen guten Rat zu geben und konkret zu helfen. Der Gesetzgeber hat festgestellt, daß ein Abbruch nach einer Beratung zwar Unrecht ist, aber straffrei bleibt. Aus dieser rechtlichen Konstruktion haben manche den völlig ungerechtfertigten Schluß gezogen, daß dieser Schein eine Handlung legitimiert, die aus christlicher Position Unrecht ist. Daran entzündet sich die Debatte.

Offensichtlich wird es zwei Vorschläge geben: In der Beratung zu verbleiben und mehr materielle Hilfe anzubieten oder nur zu beraten, ohne den Schein auszustellen. Wäre diese Variante nicht der Ausstieg der katholischen Kirche aus der Schwangerschaftsberatung?

Es wäre der Ausstieg aus der gesetzlich geregelten Beratung, die zugleich die erwiesene Chance gibt, Frauen zu erreichen, die in ihrer Entscheidung noch offen sind. Die Beratung kann einen entscheidenden Schritt dazu leisten, daß sich Frauen für ihr Kind entscheiden. Das ist für uns der entscheidende Ansatzpunkt. Es wird ja immer gesagt, wir können ja weiter beraten. Die entscheidende Frage ist doch: Erreichen wir diejenigen, die noch in der Entscheidung offen sind? Die Analysen zeigen, daß die katholischen Beratungsstellen in ihrer Wirkung weit über den Kreis katholischer Frauen hinausgehen.

Das heißt, wenn die Kirche relevant bleiben will und die Frauen erreichen will, muß sie auch weiterhin den Schein ausstellen, der zum Abbruch berechtigt.

Sie muß Beratungen durchführen und diese dokumentieren. Nach der Gesetzeslage geht die Frau dann den nächsten Schritt.

Haben Sie einen guten Rat für die Bischöfe?

Ich unterstütze alle Bemühungen, in der gesetzlich geregelten Schwangerschaftskonfliktberatung zu bleiben, weil ich das für ein wichtiges Zeugnis halte, sich für Leben einzusetzen. Ich habe noch niemanden getroffen, der deshalb denkt, die katholische Kirche habe ein ambivalentes Verhältnis zum Schutz des ungeborenen Lebens. Dagegen meinen viele in der Gesellschaft, daß der Schutz des ungeborenen Lebens wichtig, aber das Selbstbestimmungsrecht der Frau das Entscheidende ist. Diese Position entspricht nicht christlicher Überzeugung, weil hier die Rechte zweier Menschen so ungleichartig abgewogen werden, daß es für einen der beiden das Ende der Existenz bedeutet.

Falls es zum Ausstieg kommt: Organisieren dann die katholischen Laien die Beratung?

Es gibt unterschiedliche Modelle, die schon erörtert worden sind. Ich habe volles Vertrauen in die Bischöfe, bisher steht die überwiegende Mehrheit der deutschen Bischöfe dazu, die Möglichkeit der gesetzlichen Beratung zu nutzen.

Könnte es dazu kommen, daß einzelne Bistümer aussteigen?

Bisher geht man in Fulda bereits anders mit der Beratung um als in den übrigen Bistümern. [Scheine, die zum Abbruch berechtigen, werden nicht ausgestellt, die Red.] Ich hoffe, daß sich diese unterschiedliche Praxis nicht verschärft.

Zeigt die Diskussion nicht auch den Streit über die Auseinandersetzung der Kirche mit der Gesellschaft: Läßt man sich in schwierigen Fragen auf die Probleme ein oder beschließt man, in dieser Frage ist uns unsere „weiße Weste“ wichtiger?

Es stimmt, daß das in einem größeren Zusammenhang zu sehen ist. Die Frage ist, wie vertritt man christlichen Glauben in einer großteils entchristlichten Gesellschaft? Da gibt es zwei alternative Strategien: Einerseits das eigene Profil schärfen und sich auf die Chancen und Risiken einer solchen Gesellschaft einlassen und die eigenen Überzeugungen mit Nachdruck zu vertreten. Die andere Position ist der Rückzug in eine wie immer geartete glaubensfeste Zitadelle. Dahinter steht die Vorstellung, ein so radikaler Schritt würde ein solches Fanal setzen, daß man einen prinzipiellen Sinneswandel in der öffentlichen Meinung bewirkt.

Dieser Hang zum Fundamentalismus nimmt aber zu.

Der Begriff Fundamentalismus wäre eine Verzeichnung der Situation. Beide Haltungen hat es immer schon gegeben, doch die Strategie hat sich durchgesetzt, sich zur freiheitlichen Gesellschaft zu bekennen und sie nutzen. Doch in der Offensive des Laizismus, der wir uns gegenübersehen, stehen wir wieder in der Versuchung: Was machen wir? Ist es nicht sicherer, auf Bewahrung zu setzen. Für mich, der ich aus der DDR komme, ist das nichts Neues. Wir waren zu einer Nischenexistenz gezwungen. Wir haben alles versucht, in die Öffentlichkeit zu gelangen, und ich habe nicht die Absicht, diese Öffentlichkeit wieder zu verlassen. Es ist der falsche Weg, zu denken, wir könnten die jetzige Auseinandersetzung überwintern und uns auf bessere Zeiten einstellen. Ich denke gar nicht daran, das Geschäft von Leuten zu besorgen, die verkünden, die Kirche müsse sich zurückziehen.

Die Frage der Abtreibung wird auch an der Pille RU 486 diskutiert. Sollte man sie einführen?

Nein. Es ist leichtfertig, davon zu reden, es handele sich nur um eine neue Methode. Die Frage ist, ob mit der RU 486 die Vorstellung entstehen könnte, ein Abbruch sei einfacher zu machen und ob deshalb mehr Druck auf die Frauen ausgeübt wird. Es ist doch bekannt, daß der Konflikt sehr häufig auf die Männer zurückgeht, die nicht bereit sind, für die Konsequenzen ihres Tuns einzustehen. Interview: Bernhard Pötter