Krumme Sachen in der Stadt der geraden Straßen

■ Die Olympia-Sponsoren sind beunruhigt, doch der Tourismus in Salt Lake City boomt

Washington (taz) – Ein wenig zierte sich Anton Geesink, als Bob Hunter die Kreditkarte des Bewerbungskomitees von Salt Lake City zückte, um für einen dreitägigen Trip des niederländischen IOC- Mitgliedes samt Gattin und Enkelin in die Nationalparks Yellowstone und Grand Teton zu bezahlen. Dann akzeptierte er die Gabe des freundlichen Olympiabewerbers. Die letzte von zahllosen Enthüllungen, welche ausgerechnet Amerikas sauberste Stadt, die Stadt der Mormonen und der geraden Straßen, die Stadt ohne Alkohol und Kriminalität, ins Zentrum des IOC-Bestechungsskandals rückte. „Wir dachten, wir hätten die Olympischen Spiele verdient“, sagt Ex-Bürgermeister Ted Wilson, „und nun müssen wir erfahren, daß wir sie gekauft haben.“ Olympia ist nicht, was es mal war, und Salt Lake City auch nicht mehr. „Der olympische Gedanke ist angeschlagen“, klagt Merril Squires, Abteilungsleiter einer texanischen Sportmarketing-Firma. „Die Olympischen Spiele unterscheiden sich vom Profisport durch die Verkörperung gewisser Werte“, erklärt John Krimsky, stellvertretender Marketing-Direktor des amerikanischen Olympischen Komitees, „diese Unterscheidung muß erhalten bleiben.“ Ein Dutzend zahlungskräftige Sponsoren tragen schließlich 600 Millionen Dollar zum 1,4 Milliarden-Haushalt der Spiele bei. „Wir haben dem IOC gegenüber unsere Besorgnis zum Ausdruck gebracht“, sagt Ben Deutch, ein Sprecher Coca-Colas, „die haben uns versichert, daß sie ihr Haus in Ordnung bringen werden, und wir werden das genau verfolgen.“ Michael Payne, Marketingchef des IOC, dementiert, daß etliche Sponsoren damit gedroht hätten, ihre Gelder zurückzuziehen. Doch Randy Lynch, Chef des olympischen Programms bei US West, einer der größten Telefongesellschaften, spricht vielen Finanziers aus der Seele: „Wenn das Ideal und die Werte der Olympischen Spiele angekratzt sind, ist das für uns eine sehr ernste Sache.“

Wirtschafts- und Werbefachleute halten es jedoch auch für möglich, daß der Bestechungsskandal auf eine kostenlose Publicity für Olympia hinausläuft. Die Tourismusindustrie, die für den Bundesstaat Utah noch immer der bedeutendste Wirtschaftsfaktor ist, möchte sich den Skandal auf ihre Weise zunutze machen: Die Anrufe bei der Tourismusinformation haben sich verdoppelt, seit der Skandal ruchbar wurde. Und Tom Barberi, ein Talkmaster, regte eine Skandalstadtrundfahrt an, die an den Hotels vorbeiführt, wo Mitglieder des IOC untergebracht und wo Bestechungsgelder überreicht wurden.

Das Interesse der Sportfans hat der Skandal noch nicht auf sich gezogen. Diese waren bisher vollauf mit ihrer Trauer über den Rücktritt von Michael Jordan beschäftigt und fiebern jetzt dem Super Bowl im American Football am kommenden Sonntag entgegen. Peter Tautfest