Geisternde Gestalten

■ Arte widmet sich den drei Brontä-Schwestern und sucht um 23.45 Uhr u. a. nach ihren Männern

Zurückgezogenheit befördert die Phantasie. Wo scheinbar wenig stattfindet, will man sich etwas vorstellen. Charlotte, Anne und Emily Brontä verbrachten fast ihr ganzes Leben im Städtchen Haworth, am Ende der Welt, um die Mitte des 18. Jahrhunderts. In der felsigen Landschaft Yorkshires entstanden u. a. „Jane Eyre“, „Agnes Grey“ und „Sturmhöhe“. Wie konnten sich drei Mauerblümchen mit einem Wenig an Lebenserfahrung in die Annalen der Weltliteratur einschreiben? Arno Schmidt nannte die Schwestern Brontä einmal „die taubengrauen Schwestern“, doch das „taubengrau“ führt in die Irre: Emily Brontä war nicht nur sehr schön, sondern auch exzentrisch, Charlotte, so heißt es, verfügte über einen „männlich scharfen Verstand“, und Anne Brontä erfand in „Agnes Gray“ die einfache Romanheldin und galt selbst als Schönheit.

Im Anschluß an die Neuverfilmung von „Sturmhöhe“ versucht „Die Brontäs und ihre Männer“ die „wahre Geschichte“ der Brontä-Schwestern zu erzählen. Kein leichtes Unterfangen: Gut, da gab es den Vater, einen verwitweten Pastor, und den Bruder Branwell, doch Liebschaften sind von Emily und Anne Brontä keine bekannt. Weil die beiden sehr jung (und unverheiratet) an Schwindsucht starben, greifen die Regisseure Malgorzata Bucka und Olaf Grunert gezwungermaßen auf das männliche Romanpersonal zurück. Tatsächlich habe gerade Emily ihre literarische Phantasie als Realität installiert. Allein die Vorstellung, von Haworth fort zu sollen, machte ihr angst. Das Krückenverfahren, Romanfiguren als Vexierbilder der Brontäschen Wünsche und Erfahrungen zu lesen, funktioniert im Falle Charlottes und ihrer Romane „Der Professor“ und „Villette“ am ehesten. Sie beschreiben im Lehrer-Schülerin-Modell das Ideal einer „pädagogischen Liebe“.

Bucka und Grunert orientieren sich bei der Bildwahl meist an der in der Brontä-Literatur üblichen schauerromantischen Naturmetaphorik und -mystik. Wehender Wind, felsige Täler, einsame Moore, flackernde Kerzen, weithin starrende Kirchtürme, Gewitter und Friedhöfe – von Horror in Moll unterspült. Manchmal steigen drei kleine Frauen aus der Trickkiste der Regiecomputer in die Yorkshire-Landschaft, werden transparent und schließlich ganz unsichtbar: geisternde Gestalten. In diesen Momenten erklärt sich die Subjektivität des Films am ehrlichsten und subtilsten. Anke Westphal

Arte-Themenabend „Brontä“: „Sturmhöhe“ (Spielfilm), 21.45 Uhr; „Die Brontäs & ihre Männer“ (Doku), 23.40 Uhr; „Die Brontäs heute“ (Reportage), 0.35 Uhr