Gräben zwischen Moskau und Washington

Beim Besuch von US-Außenministerin Albright in Moskau kommen nicht nur die Themen Irak und Kosovo zur Sprache. Rußland erhofft sich Hilfe bei Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Zu einem zweitägigen Besuch und zu Gesprächen mit Ministerpräsident Jewgeni Primakow, Außenminister Igor Iwanow und anderen russischen Politikern traf gestern in Moskau US-Außenministerin Madeleine Albright, ein. Da die Präsidenten beider Länder zur Zeit indisponiert sind – Jelzin liegt ein Geschwür im Magen, und auf Clinton lastet schwer die Ex- Geliebte und Zeugin Lewinsky –, mißt man in Moskau dieser Staatsvisite höchste Bedeutung bei. Noch niemals nach Beendigung des Kalten Krieges klaffte zwischen den außenpolitischen Positionen beider Länder ein so tiefer Abgrund wie heute.

An vorrangiger Stelle steht bei den Verhandlungen natürlich das Vorgehen beider Staaten gegenüber dem Irak und im Kosovo- Konflikt. Einen relativ neuen Verhandlungsgegenstand bilden US- Sanktionen gegen drei große Moskauer Forschungsinstitute, die angeblich dem Iran beim Bau vom Atomwaffen geholfen haben. Wie Jungfrauen beteuern die drei Forschungseinrichtungen laut ihre Unschuld. Ausgerechnet Vize- Premier Juri Masljukow, einziges Mitglied der kommunistischen Fraktion in der russischen Regierung, gestand dagegen letzte Woche in einem Fernsehinterview: „In einigen der Fälle, die sie (die Amerikaner) uns präsentiert haben, scheinen die Vorwürfe zu stimmen.“ Albright will nun in Moskau neue Beweise für ihre Behauptungen auf den Tisch legen.

Die amerikanische Regierung hat inzwischen ihren eigenen Wissenschaftlern Kontakte mit den betreffenden Instituten untersagt und Materiallieferungen an sie unterbunden. Aus Trotz weigerte sich dieser Tage die Duma, das bereits 1993 unterzeichnete Start-II- Abkommen zu ratifizieren. Aber auch ganz ohne den gegebenen Anlaß schien in letzter Zeit eine Ratifizierung des Abkommens russischerseits nicht mehr wahrscheinlich. Dem Land fehlen nämlich einfach die Mittel zu seiner Erfüllung. Bei den gestrigen Gesprächen bezeichneten Außenminister Iwanow und und seine Amtskollegin Albright das Abkommen dennoch hartnäckig als „Eckstein“ ihrer Außenpolitik. Überraschenderweise ließ Albright allerdings durchblicken, daß die USA bereit seien, den Vertrag zu „korrigieren“. Für die Russen war dabei nicht ganz ersichtlich, ob dies ein Entgegenkommen bedeutet oder ob man sie zwingen will, eine weitere bittere Pille zu schlucken. Die USA gaben nämlich in den letzten Tagen Pläne zur Schaffung eines neuen Raketenabwehrsystems bekannt.

Daß über diese Pläne in den USA noch nicht das letzte Wort gesprochen sei, deutete Albright am Sonntag in einem Interview mit der russischen Fernsehgesellschaft NTW an. In dem Gespräch spielte sie die Gegensätze zwischen den beiden Staaten in jeder Weise herunter und verlieh ihrer Hoffnung Ausdruck, Rußland werde seinen beträchtlichen Einfluß in Serbien geltend machen, um auf den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević mäßigend einzuwirken. Sie selbst, so betonte Albright, sei inzwischen mit Primakow und Iwanow persönlich gut Freund, was die Verhandlungen erleichtere.

Und tatsächlich: Als Jewgeni Primakow, damals noch russischer Außenminister, Albright zum ersten Male die Hand reichte, tat er, als müsse er eine Qualle berühren. Aber schon auf dem Asean-Gipfel im vorigen Jahr sangen die beiden zusammen ein Duett – aus der „West Side Story“. Mehr als von Freundschaft und Gesang dürfte das Gesamtergebnis dieser Gespräche allerdings von der Lösung der letzten Frage beeinflußt werden, die heute auf den Tisch kommt: Der russische Staat kann seine vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unerbittlich eingeforderten Auslandsschulden nicht mehr begleichen. Allein in diesem Jahr sind 17,5 Milliarden Dollar fällig. Primakow träumt von einem Moratorium über neun Jahre, in dessen Verlauf das Land versuchen könnte, wieder auf die Beine zu kommen. Die USA als meistzahlendes IWF-Mitglied könnten einiges zur Verwirklichung dieses Traumes beitragen.