■ Die Wahl zum Bundespräsidenten: Wer kann wen wann ärgern?

Die Blamage, eine Kandidatin bei der Wahl des Bundespräsidenten ins aussichtslose Rennen zu schicken, will sich die PDS gar nicht erst antun. Während die Union gestern Dagmar Schipanski präsentierte, verkündete die PDS, sie werde keinen Kandidaten aufstellen. Das läßt den Genossen allerhand Spielraum, die rot-grüne Koalition zu ärgern. Schon verkündete der Parteivorstand, die PDS werde ihr Abstimmungsverhalten kurz vor der Wahl am 23. Mai in Berlin festlegen.

Allerlei taktische Spielchen sind denkbar. Schließlich verfügt Rot-Grün in der Bundesversammlung nicht über die absolute Mehrheit (670 Stimmen). SPD (563) und Grüne (98) bringen es auf gerade einmal 661 Wahlfrauen und -männer. Um die Koalition und ihren Kandidaten Johannes Rau zu ärgern, böte sich für die PDS also folgendes Szenario an: In den ersten beiden Wahlgängen enthält sie sich der Stimme. Folglich müßte Rau in den dritten Wahlgang. Hier bräuchte er nur die einfache Mehrheit – und die bekäme er durch SPD und Grüne. Daß in der PDS die Neigung vorhanden ist, die SPD zu reizen, zeigten erste Reaktion der PDS-Spitze. Sie bot der Unionskandidatin Schipanski gestern an, über ihr politisches Angebot zu reden.

Die PDS als Unterstützerin von CDU und CSU? Ein Manöver, das zwar seinen Reiz hat – weil sich die Union nicht gegen die Stimmen der von ihnen bekämpfen „Postkommunisten“ wehren könnte. Zugleich aber wäre es heikel. Denn in der 1.338köpfigen Bundesversammlung ergibt sich nach jetzigem Stand folgendes Bild: Union 546 Vertreter, PDS 64, FDP 57, Reps 7, DVU 3. Würden sie alle zusammen en bloc abstimmen, wäre Schipanski im ersten Wahlgang mit 677 Stimmen neue Bundespräsidentin. Theoretisch. Blockabstimmungen gab es zuletzt in der DDR-Volkskammer. Severin Weiland