Ein Minister mit atomaren Prinzipien

■ Heute starten die Energiekonsensgespräche zwischen Atomindustrie und Bundesregierung. Trotz Gegenwehr beharrt Umweltminister Trittin (Grüne) auf dem raschen Ausstieg. Und er setzt noch eins drauf: „Die Wiederaufarbeitung findet schon jetzt in einer rechtlichen Grauzone statt.“

taz: Die Energiewirtschaft hat gestern im Vorgespräch zu den Konsensverhandlungen beim Bundeskanzler die Muskeln spielen lassen. Aus der Wiederaufarbeitung will sie erst in fünf Jahren aussteigen. Tags zuvor hatte sie noch eine Garantie für 50 bis 100 Castor-Transporte pro Jahr nach Gorleben oder Ahaus verlangt.

Jürgen Trittin: Die Zahl der da genannten Transporte ist gravierend überhöht. Sie unterschlägt, daß es ohne ein Verbot der Wiederaufarbeitung weiter die bisher übliche Zahl von 50 bis 60 Transporten ins Ausland geben würde. Außerdem wird bei der Wiederaufbereitung Atommüll produziert, der nicht weiterverwertet werden kann. Die Wiederaufbereitung wird so faktisch zu einer modifizierten Zwischenlagerung von deutschem Atommüll im Ausland. Eine solche Zwischenlagerung von bundesdeutschem Atommüll verbietet etwa auch das französische Recht wie das deutsche Atomrecht.

Die Einbringung der Atomgesetznovelle in den Bundestag ist auf Druck der großen Energieversorger um voraussichtlich drei Wochen verschoben worden. Bleibt es in jedem Fall beim gesetzlichen WAA-Verbot zum Jahresende, oder ist jetzt die Zeitperspektive in den Konsensrunden noch verhandelbar?

Nach Auffassung des Bundesumweltministeriums findet die Wiederaufarbeitung unabhängig von der Frage eines gesetzlichen Verbotes schon heute in einer rechtlichen Grauzone statt. Sie ist nach geltendem Recht nur zulässig, wenn sie der Verwertung von Atommüll dient. Spätestens mit der Definition von Restlaufzeiten für die deutschen AKWs ist auch eine Verwertung des Plutoniums aus der Wiederaufbereitung – des einzigen bisher verwerteten WAA-Produkts – nicht mehr gegeben. Insofern ist der Streit um das Ende der Wiederaufbereitung müßig. Außerdem sehen die meisten Verträge ausdrücklich die Kündigungsmöglichkeit bei einem Wiederaufarbeitungsende vor.

Sie rechnen also mit vielen Transporten nach Gorleben und Ahaus in den nächsten Jahren?

Die Bundesregierung strebt eine Zwischenlagerung an den Kraftwerksstandorten an, und diese Zwischenlager an den AKWs wird es nur geben, wenn gleichzeitig die Restlaufzeiten des jeweiligen Kraftwerks klar festgelegt werden. Diese standortnahen Zwischenlager sind der einzige Weg, unsinnige Atommülltransporte zu verhindern. Es ist doch keine Verminderung von Transporten, wenn weiter 50 bis 60 Transporte nach England oder Frankreich gehen und später ja eine erhöhte Zahl von Transporten wieder zurückkommt.

Wann werden denn die Atommülltransporte wieder aufgenommen?

Die Bundesregierung will die innerdeutschen Transporte drastisch minimieren und möglichst vermeiden. Wir haben von der Industrie immer wieder den Wunsch nach einer Friedenspflicht während der Konsensgespräche gehört. Darunter haben die Energieversorger etwa verstanden, daß die Bundesregierung die Entsorgungsfrage, den zur Zeit nicht gegebenen Entsorgungsnachweis der AKWs, nicht zu einem Hebel für Stillegungen machen solle. Wer dies verlangt, sollte selbst einen Beitrag dazu leisten und für den Zeitraum der Gespräche auf Atomtransporte aus bundesdeutschen AKWs heraus verzichten. Wir sind als Bundesumweltministerium gern bereit, hier bei eventuell entstehenden technischen Problemen beiseite zu stehen. Allerdings ist die Bundesrepublik völkerrechtlich und moralisch-politisch verpflichtet, den ins Ausland kutschierten Atommüll zurückzunehmen.

Nach Ablauf der angesprochenen Friedenspflicht, also ab dem Jahr 2000, wären dann Gorleben und Ahaus die ersten Entsorgungsmöglichkeiten.

Es macht keinen Sinn, Müll erst etwa nach Ahaus zu fahren, dann wieder woanders hin zur Konditionierung und später noch an einen anderen Ort zur Endlagerung. Noch einmal: Wir wollen Transporte vermeiden und deswegen den Atommüll an den Kraftwerksstandorten lagern. Schließlich ist jeder Transport mit Risiken verbunden.

In der heutigen ersten Konsensrunde stehen auch die Endlagerprojekte Gorleben und Schacht Konrad auf der Tagesordnung.

Wir werden insgesamt über die Fragen der künftigen nuklearen Entsorgung sprechen. Ich erwarte allerdings noch keine bindenden Vereinbarungen von dieser ersten Runde. Auch die Entsorgungsfragen können letztlich erst gelöst werden, wenn die Restlaufzeiten für die Atomkraftwerke definiert sind, wenn klar ist, wieviel Müll am Schluß endzulagern und wieviel Müll für welche Zeit zwischenzulagern ist.

Sehen Sie Widerstände bei den Energieversorgern gegen nur ein Endlager für alle Arten von Abfällen, für das ein Standort noch gesucht werden muß.

Gegen nur ein Endlager und auch gegen das Konzept der direkten Endlagerung sehe ich keine Widerstände, zumal die direkte Endlagerung im Vergleich zur Wiederaufbereitung das wesentlich kostengünstigere Verfahren ist. Bei der jetzigen Debatte um die Wiederaufbereitung geht es deswegen auch nicht um Geld, sondern um die Sicherheit des Entsorgungsnachweises. Das scheint das Problem der Betreiber zu sein.

Am Freitag gab es noch ein Vorgespräch bei Bundeskanzler Schröder.

Dort haben wir uns noch einmal auf einige Eckpunkte verständigt. Klar ist, es wird keine Lösung der Endlagerfrage geben, bevor nicht die Restlaufzeiten der Atomkraftwerke festgelegt sind. Klar muß auch sein, daß Zwischenlager nur genehmigt werden für diese Laufzeiten, also entsprechend zeitlich befristet. Außerdem erwartet die Bundesregierung, daß auf Atomtransporte während der Energiekonsensgespräche verzichtet wird.

Gerhard Schröder, der sich gestern noch einmal mit den Spitzen der großen Energieversorger zu einem Privatissimum getroffen hat, soll sich ja mit den vier Strommanagern bereits auf eine Restlaufzeit von 20 Jahren geeinigt haben.

Das bestreitet Gerhard Schröder. Die Laufzeiten werden in einer zweiten Gesprächsrunde festzulegen sein. Und dies ist eine Frage, die von der gesamten Bundesregierung zu tragen sein wird. Interview: Jürgen Voges