Kräftiger Rückenwind für die Strombosse

■ Tausende AKW-Mitarbeiter wollen heute in Bonn demonstrieren. Baden-Württemberg droht mit Klage gegen den Ausstieg. Auch das Bundesjustizministerium hat rechtliche Bedenken

Der Energiekonsens sorgt weiter für politischen Dissens. Die Gespräche zum Ausstieg aus der Atomenergie begannen gestern mit einem vorbereitenden Treffen von Bundeskanzler Schröder mit den vier wichtigsten Atomchefs – Aug' in Aug', ganz ohne Berater. „Die unterschiedlichen Standpunkte sind freimütig ausgetauscht worden“, meinte danach eine Konzernsprecherin der Veba. Trotz aller Bedenken über einen Einstieg in den Ausstieg werden die Chefs von RWE, Veba, Bayernwerk/ Viag und Energie Baden-Württemberg (EnBW) heute zum ersten offiziellen Gespräch über die Zukunft der Atomenergie erscheinen. Immerhin. Sie hatten tagelang damit gedroht, die Gespräche platzen zu lassen, bevor sie überhaupt losgehen. Bleibe es bei einem Wiederaufarbeitungsverbot, so der Viag-Mann Wilhelm Simson vor Tagen, „ist für mich ein Energiekonsens nicht mehr vorstellbar“. RWE-Chef Kuhnt drohte gar damit, daß bei einem Scheitern der Gespräche Schröders Lieblingsprojekt, das Bündnis für Arbeit, akut gefährdet sei.

Mit der Ankündigung Schröders, das Atomgesetz seines Umweltministers Trittin vorläufig nicht im Kabinett zu beschließen, hat das gestrige Gespräch mit Schröder den Strombossen einen schönen Erfolg beschert. Damit Grüne und SPD garantiert nicht vergessen, mit welcher Macht sie es zu tun haben, führt die Atomindustrie auch weiter vor, welche Kohorten sie ins Feld führen kann, wenn es um die Sicherung ihrer Gewinne geht.

Als Fußvolk dienen Arbeiter und Angestellte der Atomkraftwerke. Sie werden pünktlich zu den morgigen Konsensgesprächen nach Bonn gebracht. Mehrere tausend Menschen erwarten Gewerkschafter von der IG Bergbau, Chemie und Energie heute am Rande der Bannmeile.

Neben diesen allgemeinen Truppen haben die Stromkonzerne noch andere Verbündete. Gewissermaßen als Kavallerie eilte gestern Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) aus Stuttgart zu Hilfe – über seine Landesregierung zu 25 Prozent am AKW-Betreiber EnBW beteiligt. Teufel bekräftigte gestern seine Kritik an den Kernenergie-Ausstiegsplänen und kündigte an, bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit einer Atomrechtsnovelle vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.

Nach einem Rechtsgutachten im Auftrag der Stuttgarter Landesregierung verstößt das geplante Verbot einer Wiederaufbereitung von Atommüll unter anderem gegen das Grundgesetz: gegen Artikel 14 (Schutz des Eigentums) und gegen die durch Artikel 12 gewährleistete Freiheit der Berufswahl. Im zweiten Absatz des Artikels 14 steht allerdings auch: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“

Neben dem Grundgesetz sehen Rechtsexperten auch einen Widerspruch zwischen dem bisher von der Bundesregierug angestrebten Verbot der Wiederaufarbeitung im Ausland und dem Euratom- Vertrag. Hier will auch das Bundesjustizministerium noch Fragen geklärt haben. Ministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat ihrem Kollegen Jürgen Trittin am 20. Januar einen Fragenkatalog zugestellt.

Gleich zu Beginn des achtseitigen Papiers verweist die Ministerin auf die Bestimmung des Euratom- Vertrags, „die Investitionen zu erleichtern und, insbesondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen, die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen, die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemeinschaft notwendig sind“. Das Ziel des Atomgesetzes, die Nutzung der Kernenergie „geordnet und sicher zu beenden“, stelle nach erster Durchsicht einen Widerspruch zu dieser für alle Mitgliedstaaten verbindlichen Regelung des Gemeinschaftsrechts dar.

Die Kernkraftgewerkschafter werden morgen in Bonn auf die Atomkraftgegner treffen. Die haben eine Serie von Stelltafeln vorbereitet, mit denen sie jeweils auf einen Störfall in Atomkraftwerken weltweit hinweisen. Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg aus dem Wendland möchte damit deutlich machen, daß es, wenn überhaupt, einen Konsens über Endlagerung und Atomtransporte nur geben kann, wenn klar festgelegt ist, daß die deutschen Atomkraftwerke nicht bis zum Sankt Nimmerleinstag betrieben werden. Die Energie-Allianz in Bonn fordert einen „sofortigen Ausstieg anstatt eines lauwarmen und jederzeit revidierbaren Kompromisses“. Renate Backhaus vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte, daß Bundeskanzler Schröder einen schrittweisen Atomausstieg nur im Einvernehmen mit der Atomindustrie durchsetzen will. Damit sei klar, daß die „Atomlobby“ in den Gesprächen das Zepter schwinge. Der von den Grünen versprochene Ausstieg innerhalb von fünf bis acht Jahren sei so nicht erreichbar. Reiner Metzger