Analyse
: Westafrikas Krieger

■ Im Krieg um Sierra Leone genießt die Seite der Regierung Narrenfreiheit

Das ganze Ausmaß der blutigen Kämpfe um Sierra Leones Hauptstadt Freetown in den letzten Wochen wird erst jetzt richtig deutlich. Helfer zählen 2.000 Tote als absolutes Minimum; allein ums zentrale Krankenhaus wurden 1.140 Leichen aufgesammelt. Hunger und Seuchen wüten in der zerschossenen und zu großen Teilen ausgebrannten und geplünderten Stadt. Und immer noch geht das Morden weiter, während sich die Kriegsfront langsam in die umliegenden Hügel verlagert. Die zurückweichenden Rebellen der „Revolutionären Vereinigten Front“ (RUF) terrorisieren die Zivilbevölkerung; die vorrückenden Ecomog-Einheiten und die mit ihnen verbündeten „Kamajor“-Milizen des sierraleonischen Präsidenten Ahmed Tejan Kabbah betreiben summarische Hinrichtungen auf offener Straße.

Hilfe für die Bevölkerung Freetowns ist aber immer noch nicht möglich. Die Ecomog knebelt die internationalen Hilfsorganisationen: Sie hat ihnen verboten, Kommunikationsgeräte zu benutzen und mit der Beschlagnahme aller solchen Geräte gedroht. Diese Behinderung der humanitären Arbeit ist ein einmaliger Akt durch eine Eingreiftruppe, die von sich behauptet, Interventionsmandate internationaler Organisationen inklusive der UNO auszuführen. Dennoch aber verstärkt die einzige auswärtige Macht, die an den Vorgängen in Sierra Leone wirklich Interesse zeigt, ihre Parteilichkeit: Großbritanniens Außenministerium erwägt angeblich, das geltende UN-Waffenembargo gegen Sierra Leone aufzuheben und der Regierung Kabbah Waffen zu verkaufen. Diese Zusage meinte jedenfalls Finanzminister James Jonah am Wochenende in London erhalten zu haben. Ein britisches Kriegsschiff voller Hilfsgüter liegt bereits in Freetown vor Anker. Offenbar genügt der Umstand, daß Präsident Kabbah und Finanzminister Jonah beide einmal respektierte hochrangige UN-Funktionäre waren, um ihre internationale Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen und Forderungen nach einer neutralen internationalen Vermittlung, wie sie in anderen Bürgerkriegen zum Beispiel im Kongo selbstverständlich sind, gar nicht erst aufkommen zu lassen. Statt dessen wird das Risiko einer regionalen Ausbreitung des Krieges in Kauf genommen. Die Ecomog will nämlich – natürlich mit ausländischer Finanzierung – eine neue Miliz aus 15.000 loyalen Sierraleonern zur langfristigen Kontrolle des Landes aufbauen. Die Regierung Liberias, dessen Präsident Charles Taylor der Unterstützung für die RUF bezichtigt wird, bezeichnet dies als Sicherheitsrisiko. An der Grenze zwischen Liberia und Sierra Leone häufen sich bereits bewaffnete Zusammenstöße. Freetown mag seine Toten begraben. Aber in den finsteren Wäldern Westafrikas geht der Kampf um die regionale Vorherrschaft erst richtig los. Dominic Johnson