Schröder knickt vor Atombossen ein

■ Sonntag abend: Der Bundeskanzler Schulter an Schulter mit Umweltminister Trittin. Montag morgen: Die Chefs der Energiekonzerne im Kanzleramt. Montag mittag: Schröder zieht den Entwurf des geplanten Atomgesetzes zurück

Berlin (taz) – Zwischen Ärger und Überraschung schwankten gestern die Spitzen der Bündnisgrünen in Bonn. Bundeskanzler Gerhard Schröder hat sie bloßgestellt, indem er ein zentrales grünes Vorhaben, die Verabschiedung des neuen Atomgesetzes, um womöglich drei Wochen hinausgeschoben und verwässert hat.

Besonders demütigend waren die Umstände des Beschlusses: Die Chefs der vier größten Atomkraftwerksbetreiber Deutschlands trafen sich gestern vormittag mit dem Kanzler zu einem vertraulichen Gespräch. Im Vorfeld hatten sie gedroht, die für heute geplanten Konsensgespräche zum Atomausstieg platzen zu lassen, bevor sie überhaupt losgehen. Grund der Aufregung in den Konzernen: Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) will die Wiederaufarbeitung der AKW-Brennstäbe im Ausland binnen eines Jahres verbieten. Nach dem Gespräch gab die SPD bekannt, daß Kabinett und Bundestagsfraktionen nicht diese Woche über die Atomgesetznovelle beraten würden. Das Gespräch mit den Bossen sei „sehr konstruktiv“ gewesen und hätte eine „atmosphärisch bessere Situation“ geschaffen.

Trittin war düpiert, bemühte sich gestern aber, die Wogen zu glätten. Das Ministerium sehe kein Abweichen von den Koalitionsvereinbarungen, hieß es schließlich. In einem ausführlichen Interview mit der taz hatte er vorher zum neuen Gesetz Stellung genommen (siehe Seite 3).

Auch die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller sah gestern „keine Krise in dieser Frage“. Allerdings: „Ich bin ärgerlich darüber, daß die Vereinbarungen in der Koalitionsrunde über den Zeitplan nicht eingehalten werden. Ich bin natürlich nicht damit zufrieden, daß diese Novelle verschoben werden soll, und wir sehen auch keinen Grund dafür.“ Jetzt müßten erst einmal die Fraktionsführungen miteinander reden, um „zur Geschäftsgrundlage zurückzukehren“.

Noch am Sonntag abend hatte der Kanzler Jürgen Trittin ausdrücklich gestützt: „Der Umweltminister hat in dieser Frage recht. Er bewegt sich auf dem Boden dessen, was wir ins Werk setzen wollen“, sagte Schröder in der ZDF-Sendung „Bonn direkt“. Er verteidigte auch ausdrücklich noch einmal den engen Zeitplan der Regierung beim Atomgesetz.

Gestern hörte sich das ganz anders an: Im Zweifelsfall müsse „der Umweltminister sich der Kabinettsdiziplin beugen“, sagte der Kabinettssprecher Heye. Er wich der Frage aus, ob es überhaupt beim Verbot der Wiederaufarbeitung zum Jahresbeginn 2000 bleiben solle.

Zustimmung für Schröder gab es sofort von Ex-Umweltministerin Angela Merkel (CDU): „Trittin scheint auf ganzer Linie gescheitert. Das ist gut für Deutschland. Bundeskanzler Schröder muß jetzt hart bleiben“, sagte Merkel.

In den letzen Tagen hatte die Atomindustrie ein wahres Feuerwerk an Stellungnahmen und Drohungen abgelassen. Das Verbot der Wiederaufarbeitung zum Jahresende sei völlig illusorisch, hieß es unisono aus den Konzernzentralen. Auch befreundete Politiker aus CSU und CDU äußerten sich ähnlich. Dietmar Kuhnt, als Vorstandschef des Stromkonzerns RWE an vorderster Front dabei, nahm gleich die gesamte Arbeitswelt für die Atomkraft als Geisel: Wenn die Konsensgespräche nicht zur Zufriedenheit der Industrie ausfielen, könne der Kanzler sein Bündnis für Arbeit abschreiben.

Ein Zauberwort in der Taktik der Atombranche war dabei der Begriff Schadenersatz. Die Strommanager haben erkannt, daß Geld heute eine größere Rolle in der politischen Diskussion spielt als die Umwelt oder gar die Gesundheit der AKW- Anwohner. Und Schröder verkündete praktischerweise öffentlich, ein Atomausstieg sei mit ihm nur zu machen, wenn kein Schadenersatz für die betroffenen Firmen anfällt.

Seitdem rauschen die Milliarden nur so durch die Medien. Zwei- bis dreistellige Milliardensummen werde die vorzeitige Stillegung der 19 deutschen AKW kosten, so die Atommanager. Die Banker der Dresdner Kleinwort Benson kommen jedoch zu einem anderen Ergebnis: Der Restwert der 2.500 Megawatt starken Meiler Biblis A und B läge betriebswirtschaftlich gerechnet derzeit bei 2,6 Milliarden Mark, zitiert das Manager Magazin in seiner neuesten Ausgabe die Investment- Tochter der Dresdner Bank. Und die Beteiligungen an den Altreaktoren Stade und Brunsbüttel (betrieben zusammen mit der HEW) brächten der PreussenElektra nicht einmal eine Milliarde Mark.

Ähnlich zweifelhaft sind die Forderungen aus Frankreich und Großbritannien. Die Betreiber der dortigen Wiederaufarbeitungsanlagen setzen als Schadenssumme gleich den Umsatz an, nicht etwa den entgangenen Gewinn. BG/rem/ü.o.

Tagesthema Seite 3