Das „schöne Leben“ in Theresienstadt

Mit 13 Jahren kam Paul Sandfort ins KZ Theresienstadt und spielte Trompete in einer Kinderoper. Zum Gedenktag an die Opfer des Faschismus erzählt er seine Geschichte  ■ Von Philipp Gessler

In eineinhalb Stunden haben sie nur einmal gelacht: Als der weißhaarige Mann erzählte, daß „Teddy nachts im Bett Pipi gemacht hat“. Doch das Lachen in der letzten Reihe ist sofort verstummt. Ungewöhnlich konzentriert lauschen die Schüler der Klassen 6a und 6b der Grundschule am Windmühlenberg in Gatow, einem westlichen Stadtteil Berlins, dem Dänen Paul Aron Sandfort. Sandfort berichtet von seinen 18 Monaten im KZ Theresienstadt. „Ist das nicht ein Zufall?“ sagt er und schüttelt leicht den Kopf: 42 Kinder seien hier im Saal versammelt – so viele Kinder, wie damals in seiner Stube waren. Nur er hat überlebt.

In diesen Tagen kommt alles wieder hoch. Denn Sandfort, der sich lieber nach dem Pseudonym seiner Bücher, Paul Aron, nennt, hetzt in Berlin von Interview zu Interview, von Termin zu Termin. Das liegt an seiner besonderen Aufgabe, die er in Theresienstadt hatte: Als 13jähriger spielte er Trompete im Lagerorchester. Gut ein dutzendmal blies er im schrecklichen Vorführ-KZ der Nazis bei der Kinderoper „Brundibár“. Diese Oper wird heute, wieder von Kindern, im Konzerthaus am Gendarmenmarkt aufgeführt.

Anlaß ist der diesjährige Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Aufführung der Oper ist der medienwirksamste Versuch offiziellen Erinnerns. Ursprünglich sollte heute der Grundstein für das Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor gelegt werden. Das klappte nicht. Und auch nur mit Ach und Krach gelang es, genügend Sponsoren für die Aufführung der Oper zu gewinnen.

Doch das scheint Paul Aron alias Sandfort nicht zu belasten, zumindest nicht hier, bei den Kindern. „Könnt ihr euch vorstellen, daß ich mal so aussah“, fragt er die Schüler. Er zeigt sein Buch „Ben“, in dem er seine Geschichte aufgeschrieben hat, auf dem Umschlag ist er mit 13 zu sehen. Das Alter, in dem er nach Theresienstadt kam.

Er sei hier, um ihnen zu sagen, daß die Leute lügen, die sagen, daß es keine KZs gegeben habe oder daß „statt sechs nur zwei Millionen“ von den Nazis umgebracht worden seien. Das Märchen Brundibár, was auf Tschechisch etwa „Brummbär“ heißt, zeige, daß Kinder siegen könnten. Das sei wichtig und schön, denn „Kinder wissen, was gerecht und was ungerecht ist – die Erwachsenen haben es oft verlernt.“

Von den 14.000 Kindern, die von 1941 bis zum Kriegsende in Theresienstadt untergebracht waren, haben weniger als 150 überlebt, erzählt er den Schülern. Seine Mutter hatte ihn gegenüber den Nazis als „Halbjuden“ ausgegeben. Da es eine Liste der dänischen Juden in Theresienstadt gab und Kommissionen des Roten Kreuzes zweimal im KZ nach ihnen forschten, wagten es die Nazis nicht, die Dänen nach Auschwitz zu deportieren. Paul Aron wurde gerettet.

Von der Decke der Grundschulaula hängen goldbesprühte Papp-Noten und -Violinschlüssel herab. Der Leiter des KZ Theresienstadt sei es gewesen, der die Aufführungen von Brundibar gefördert hat, erzählt Paul Aron den Schülern, denn es sollte fröhlich sein in seinem Lager. Die Nazis wollten dem Ausland eine heile Welt vorgaukeln. Und da war ihnen selbst dieses vom jüdischen Komponisten Hans Krása geschriebene Stück recht.

Krása hatte das Stück vor dem Krieg komponiert. In Theresienstadt wurde es mit den dortigen Kindern uraufgeführt, zuerst geheim, dann öffentlich. Immer wieder wechselte die Besetzung, da immer wieder Ensemble-Mitglieder in die Vernichtungslager deportiert wurden.

Jetzt dürfen die Kinder in der Schulaula Fragen stellen, alles sollten sie fragen, ermuntert sie Paul Aron. Wie groß war ihre Stube, haben sie Fußball gespielt, wie schmeckte die Rübensaftsuppe, die sie bekommen haben, gab es da richtige Häuser, gab es Teppiche in der Stube, wie wurde geheizt, gab es eine Torte, wenn ein Kind Geburtstag hatte – die Kinder fragen frisch heraus. Am meisten Reaktion aber kommt, als Paul Aron berichtet, daß sie sich nur einmal im Monat und nur mit kalten Wasser duschen durften – Laute des Entsetzens werden laut.

„Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, und Sie müssen das jetzt auch nicht beantworten“, wagt sich schließlich ein größerer Junge voran: „Haben Sie Ihre Mutter noch mal wiedergesehen?“ Ja, erzählt Paul Aron, sie war mit ihm im KZ und überlebte den Krieg. In seinem Buch „Ben“, das noch immer einen deutschen Verlag sucht, setzt er sich sehr kritisch mit seiner Erziehung auseinander.

Schließlich übergeben die Schüler Sandfort ein Heft mit Gedichten und Zeichnungen, die sie in Vorbereitung auf seinen Besuch gemalt haben. Dann holen sich viele ein Autogramm, Sandfort unterschreibt mit „Paul Aron“. Danielo möchte möglichst lang bei ihm bleiben. Er liest sein Gedicht vor: „Die Versöhnung / Es tut gut / Ich verzeihe den anderen.“