American Pie
: Barry statt Jordan

■ Vor der Kurzsaison in der NBA ist vor allem eines klar: Meister wird nicht Chicago

But the man there said the music wouldn't play

Die wortspielverliebte US- Presse brauchte nicht lange, um ein neues Etikett für den amtierenden NBA-Champion zu finden: Aus den „Unbelievabulls“ wurden die „Unrecognizabulls“. Inzwischen ist immerhin ein vollständiger Kader beisammen, am Montag wurde mit Brent Barry der letzte Baustein des neuen Teams verpflichtet. Der 27jährige bekam zwar einen Vertrag über 27 Millionen Dollar für sechs Jahre, das Bemerkenswerteste an ihm ist aber nach wie vor sein Vater, Rick Barry, der zu einem der 50 besten NBA-Spieler aller Zeiten gewählt wurde. Brent dagegen konnte zuvor weder bei den Los Angeles Clippers noch bei Miami Heat Fuß fassen; daß er jetzt auf Michael Jordans Position spielt und einer der Hoffnungsträger ist, sagt einiges über den Zustand des Teams, das in den 90er Jahren sechs Meisterschaften holte.

Der Druck der Öffentlichkeit verhinderte in der Vergangenheit den Neuaufbau, den Manager Jerry Krause schon länger anstrebt. Das brachte weitere Titel, führte jetzt aber dazu, daß fast alle wichtigen Leute gleichzeitig gingen. Coach Phil Jackson macht Pause, Michael Jordan beendete seine Karriere, Scottie Pippen ging nach Houston, Luc Longley nach Phoenix, Steve Kerr nach San Antonio, und Dennis Rodman gedenkt seine Rebounds, wenn überhaupt, in Miami oder Orlando zu sammeln. Die Startaufstellung der Bulls wird vermutlich aus Toni Kukoc, Brent Barry, Ron Harper, Bill Wennington und Randy Brown bestehen – nicht gerade furchteinflößend. Das Bulls-Management hat die am 5. Februar beginnende Kurzsaison praktisch abgehakt, versucht, Geld zu sparen, um einen möglichst großen Gehaltsspielraum vor der nächsten Saison zu haben, und hofft auf eine möglichst günstige Position beim nächsten Draft der Collegespieler. Erste Voraussetzung dafür: Bloß nicht in die Play-offs kommen.

Das ist kaum zu befürchten, den Ton in der Eastern Conference werden in diesem Jahr andere angeben, allen voran die Indiana Pacers, die Chicago bereits im Halbfinale der letzten Saison schwer zu schaffen machten. Die Mannschaft von Larry Bird blieb fast unverändert, doch das Sahnehäubchen könnte Sam Perkins sein, der aus Seattle kam. Er ist mit seiner Größe nicht nur ein wichtiger Faktor unter dem Korb, sondern auch ein exzellenter Werfer aus der Distanz, was die Pacers, die mit Reggie Miller und Chris Mullin schon zwei der besten Schützen der Liga besitzen, noch unberechenbarer macht.

Stark verändert hat sich auch das Gesicht der New York Knicks, das vor allem jünger geworden ist. Aus Toronto kam Marcus Camby, dazu verpflichteten die Knicks Dennis Scott, Kurt Thomas und vor allem Latrell Sprewell, den Würger von Golden State, der fest versprochen hat, Coach van Gundy nicht an den Kragen zu gehen. Abgegeben hat New York allerdings mit den Veteranen Charles Oakley (Toronto) und John Starks (Golden State) eine geballte Ladung Siegeswillen.

In der Western Conference kann man davon ausgehen, daß der zweimalige Finalist Utah Jazz seine historische Chance verpaßt hat. Verstärkungen gab es nicht, dafür gingen wichtige Bankspieler wie Chris Morris und Antoine Carr. Letzterer verfügte sich nach Houston, wo der nächste Versuch gestartet wird, mit einem absoluten Oldie-Team den Titel zu holen. Wenn es tatsächlich gelingt, zum Trio Pippen, Barkley, Olajuwon auch noch Kevin Johnson aus Phoenix, der seine Karriere schon mal kurz beendet hatte, zu holen und alle gesund bleiben, ist eine Überraschung durchaus drin. Während in Seattle der neue Trainer Paul Westphal noch einige Zeit brauchen wird, eine Mannschaft nach seinem Gusto zu formen, sollte in diesem Jahr eigenlich die Zeit der Los Angeles Lakers und San Antonio Spurs anbrechen. Die Texaner, mit David Robinson und Tim Duncan unter dem Korb konkurrenzlos, sind nach der Verpflichtung von Steve Kerr und Mario Elie jetzt auch von außen gefährlich. Bei den Lakers kam der erfahrene Derek Harper für den wechselvollen Nick van Exel, und das junge Team um Shaquille O'Neal und Kobe Bryant sollte nun so gereift sein, daß es auch entscheidende Spiele gewinnt.

Bleibt die Frage, wer das schlechteste Team der Saison sein wird. Die Clippers, lautet traditionell die Antwort, doch diesmal hat die Mannschaft aus Los Angeles einen heißen Konkurrenten: die Chicago Bulls. Matti Lieske