Liebelei und Depression

Über die Gesetze des Verlangens: die so eleganten wie expliziten Filme des Max Ophüls im Metropolis  ■ Von Christian Buß

Wie kam Ophüls nach Berlin?“ fragte man Anfang der 30er Jahre scherzhaft in der Filmbranche. Antwort: „Auf der Kamera.“ Wie kein zweiter im Deutschland jener Tage setzte der Regisseur den Aufnahmeapparat in Bewegung und sprengte technische Standards. Er verlegte meterweise Schienen, und manchmal kreiste die Kamera auch in einem selbstgebastelten Käfig über dem Set. So wurden komplexe Handlungsabläufe in einer Sequenz abgedreht, all das Streben und Sehnen der Menschen zueinander und auseinander, all die Liebelei und all die Depression. Der Fluß der Bilder in den Werken von Max Ophüls ist enorm – zugleich Zeichen höchster Emotionalisierung und Werkzeug der Analyse.

Liebelei hieß der Film, mit dem er seinen Stil 1933 perfektionierte und der ihm internationale Anerkennung verschaffte. Erzählt wird eine Liebesgeschichte, die gleichermaßen sinister und salopp daherkommt. Ein Dragonerlieutnant verliebt sich in ein Mädchen, beendet sein Verhältnis mit der Frau eines Barons, wird zum Ende trotzdem im Duell mit diesem getötet. Ort der Handlung ist das Wien der Jahrhundertwende. Mondäne Opern und schummrige Kaffeehäuser sind hier optimale Kulissen, in den typischen runden Treppenhäusern Wiens kann die Kamera hochkreisen, und natürlich folgt sie dabei oft dem Walzer-Rhythmus.

Wien, das ist für Max Ophüls, der vor seiner Arbeit beim Film als Theaterregisseur an der Burg fungiert hat, ein eher fiktionaler Ort. Immer wieder kehrt er in anderen Werken dahin zurück. Auch als er schon lange in die USA emigriert war. Kaum ein Film kommt ohne die obligatorische Tanzszene aus – bei Ophüls immer ein Moment höchster sexueller Anspannung. Und wenn die Kamera in Caught von 1948 Barbara Bel Geddes und James Mason über die verstopfte Tanzfläche einer Bar hinterhergleitet, dann erinnert das Ambiente an die Heurigen im alten Wien.

Schon ein Jahr zuvor war Ophüls erzählerisch ohne Umschweife in die Stadt zurückgekehrt: Letter From An Unknown Woman rekonstruiert das alte Wien als ideale Kulisse, um die Mechanismen des Begehrens vorzuführen. Der Stil ist elegant, der Inhalt explizit. Als Folge hatte der Freigeist reichlich Ärger mit der amerikanischen Zensur. Ein Mädchen, dargestellt von Ophüls' damaliger Frau Joan Fontaine, verliebt sich unsterblich in einen Pianisten, der sie nur benutzt und schließlich vergißt. Die Liebe ist hier eine Melodie, die durch geöffnete Fenster durch die Locken der traurigen Heldin weht. Interieur, Licht, Kamerafahrten – selten wurde das Thema Anziehung auf Leinwand dermaßen transparent gemacht. Am schönsten ist die Szene, in der das Paar im Prater in einem Illusions-Zug auf Reisen geht. Während sie allein in einem Abteil sitzen, laufen die Landschaftspanoramen verschiedener Länder an ihnen vorbei. Irgendwann haben sie alle durch – und fangen noch einmal von vorne an.

Das ist auch ein sinnfälliges Bild für das Leben von Max Ophüls, ein zwischen Orten und Gefühlen zerissener Charakter. Zur Eröffnung einer umfassenden Retrospektive im Metropolis hält Helmut G. Asper die Einführung, der für das ziegelsteinschwere Max Ophüls. Eine Biographie akribisch Fakten zusammengetragen und behutsam ein psychologisches Profil erstellt hat. Dabei entsteht das Bild eines Rastlosen, der über den Umweg als Schauspieler, Rundfunkarbeiter und Theaterregisseur zum Film kommt – und sich in der Glamourwelt pudelwohl fühlt. Der Regisseur jüdischer Abstammung wird in Saarbrücken geboren, macht Station in Aachen, Breslau, Frankfurt, Wien, Berlin; nach der Machtergreifung der Nazis geht er nach Frankreich, arbeitet in Italien und Holland, emigriert schließlich in die USA – und kehrt in den 50er Jahren wieder zurück.

Max Ophüls ist ein Lebemann, der bei seinen schicken Autos gerne das Verdeck runterläßt, damit seine ihm etwas peinliche Glatze wenigstens Farbe bekommt. Max Ophüls liebt das andere Geschlecht, und, so heißt es, er kann nur optimal mit der Hauptdarstellerin arbeiten, wenn er auch mit ihr auch geschlafen hat – doch kehrt er immer wieder zu seiner Frau Hilde Wall zurück. Um diesen Eindruck kommt man nach Genuß der Biographie nicht herum: Die Liebelei und der Kater danach, dies waren auch die bestimmenden Themen im Leben des Regisseurs, der die Gesetze des Verlangens in seiner Zeit unerreicht ins Kino gebracht hat.

Caught: Do, 28., 20 Uhr (mit Einführung von Helmut G. Asper); Fr, 29., 21.15 Uhr; Sa, 30., 19 Uhr; So, 31. Januar, 17 Uhr. Lola Montez: Mi, 3., 19 Uhr; Fr, 5., 19 Uhr; Sa, 6., 21.15 Uhr; So, 7. Februar 17 Uhr. Der Reigen: Mi, 10., 19 Uhr; Fr, 12., 19 Uhr; Sa, 13., 21.15 Uhr; Mo, 15. Februar, 17 Uhr. Letter From An Unknown Woman: Mi, 17., 19 Uhr; Sa, 20. Februar, 21.15 Uhr. Die verkaufte Braut: Fr, 19., 19 Uhr; Mo, 22., 17 Uhr; Mi, 24. Februar, 19 Uhr. Liebelei: Do, 25., 21.15 Uhr; Fr, 26., 19 Uhr; So, 28. Februar, 17 Uhr, Metropolis

Helmut G. Asper: Max Ophüls. Eine Biographie, Dieter Bertz Verlag, Berlin 1998, 736 S., 68 Mark