Ein Käfig voller Schreibmaschinen...

■ ...erinnert an die als entartet diffamierten und „verbrannten“ SchriftstellerInnen. Ein Porträt der Künstlerin Sheryl Oring

Ihre Augen tasten die Umgebung nach Schreibmaschinen ab. Wo andere Schaufenster sehen, entdeckt sie eine alte Olympia. Der Gang zum Flohmarkt: wöchentliche Routine. Sheryl Oring ist auf der Suche nach 3.800 Schreibmaschinen. Ob lädiert oder verwittert, die 33jährige Amerikanerin ist nicht wählerisch, nur alt müssen die Maschinen sein. So alt, daß Alfred Döblin, Claire Goll, Else Lasker-Schüler oder George Grosz darauf geschrieben haben könnten.

Die ersten Formen nahm Orings Projekt im vergangenen Oktober an. Die Künstlerin sperrte 25 Schreibmaschinen in einen großen Käfig aus Baugitter und zog mit diesem Mahn-Würfel vor den Haupteingang der Frankfurter Buchmesse. „Ich will daran erinnern, daß Zensur und Schreibverbot nur allzu gegenwärtig sind“, erklärt Oring, die selbst zehn Jahre als Journalistin an der amerikanischen Westküste gearbeitet hat. „Writer's Block“, oder „Schreibblockade“, hat Oring ihre Idee getauft. Ein Kunst-Konzept gegen das Vergessen.

Am 10. Mai, dem 66. Jahrestag der Bücherverbrennung, will Sheryl Oring an die erste Massenvernichtungsaktion der Nationalsozialisten erinnern und darauf hinweisen, daß die Bücherverbrennung späteren Greueltaten den Weg bereitete. Damals sehen auf dem August-Bebel-Platz rund 40.000 Schaulustige zu, wie die Werke Rosa Luxemburgs, Albert Einsteins, Bert Brechts, Nelly Sachs und vieler anderer als entartet und jüdisch diffamierten Autoren verbrannt werden.

Die ernste junge Frau mit den kurzen roten Haaren zieht es immer wieder zu dem in den Bebelplatz eingelassenen Denkmal, Micha Ullmans leere Bibliothek. Für sie ist es das wichtigste Denkmal Berlins. „In dieser Stadt fühle ich überall, was fehlt“, sagt sie, insbsondere die jüdische Kultur der 20er und 30er Jahre als Teil der deutschen. „Viele Juden leben heute in den USA, sie sind Teil der amerikanischen Kultur geworden. Daran erinnert mich die Leere der Ullmanschen Bibliothek.“

Und diese Leere konfrontiert Sheryl Oring neuerdings auch mit der eigenen Geschichte. Ihr Großvater emigrierte als deutschstämmiger Jude aus Rumanien in die Staaten. Eine Vergangenheit, derer sie sich erst bewußt wird, als sie 1997 mit einem Arthur-F.-Burns- Stipendium nach Deutschland kommt. So recherchiert sie über den Nationalsozialismus und die Schicksale jüdischer Künstler und Literaten. Und sie stellt fest, daß vor allem die Schriftstellerinnen, unter ihnen die Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, mit der Ächtung ihrer Werke ihren Platz in der Geschichte verloren haben. „In meiner Heimat kennen die meisten Menschen nicht einmal die Namen der damals verfolgten Schriftsteller.“ Mit „Writer's Block“ möchte Sheryl Oring erreichen, daß die jüdischen und deutschen Autoren der jungen Generation im Gedächtnis bleiben.

Was nicht ganz einfach ist, vor allem da ihr Projekt auch Geld kostet. „Ich habe das letzte halbe Jahr nur an Türen geklopft und war auf der Suche nach Sponsoren“, erzählt sie und lacht bei dem Gedanken, daß viele ihrer Freunde und Bekannten mit ihr gewettet haben, daß sie es nicht schaffen würde, Schreibmaschinen, Gelder, Räume, Genehmigungen und Förderer zu finden. Doch die Liste der Sponsoren ist mittlerweile beachtlich. Mit ihrem amerikanischen Optimismus hat sie zahlreiche Unternehmen, Privatpersonen und Verbände für ihr Projekt gewinnen können.

Auch Andreas Nachama, den Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Berlins. Er ist überzeugt, daß „Writer's Block“ einen wichtigen Beitrag in der zähen Mahnmalsdebatte leisten kann. Eine Woche lang sollen die angestrebten vierzig Schreibmaschinenkäfige rund um die leere Bibliothek auf dem August-Bebel-Platz zu sehen sein. Dann will sie die Künstlerin auf Tour durch Osteuropa und China schicken. „Auch die Schreibtischtäter haben ihre diabolischen Exekutionsbefehle auf diesen Schreibmaschinen getippt“, erinnert Nachama, und Sheryl Oring ergänzt: „Ich nehme ihnen ihr Werkzeug weg.“ Adrienne Woltersdorf