Den Bacharach runter

Tribute-Alben wie Lämmer zu Ostern. Was Costello, Oasis und die Welt immer brauchten, ist „Always Something There To Remind Me“: Songs vom großen Burt B., von Freunden des klassischen Softsongs mitfühlend eingespielt. Ablösungen von der Kitschfolie  ■ Von Anke Westphal

Bevor der Sänger die Distanz zwischen Showtreppe oben und weißem Klavier unten hinter sich gebracht hat, läuft er etliche Male in Gefahr, über sein Zahnweißlächeln zu stolpern. Das Geschäft des großen Show-Songs ist nämlich ein heimtückisches, auch weil die Weichheit – oder Unverbindlichkeit? – des Text- und Melodie-Materials zum schlampigen Umgang mit ihm verführt. Es ist nicht wenig wie im Kino, wo aus Gründen der Selbstüberschätzung der Branche so viele unerfreulich schlecht gemachte Komödien und Melodramen laufen wie im Radio und Fernsehen peinlich ungerechte Burt-Bacharach-Interpretationen. Ist so ein Softsong nun etwas Böses, nur weil er auch zur Dekoration von Fahrstühlen und Flughafen-Lounges taugt?

Immerhin gibt es Tribute-Alben für Bacharach wie Lämmer zu Ostern. Zu den besseren gehört John Zorns Compilation „Great Jewish Music: The Songs of Burt Bacharach“, zu den ambitioniert fehlgeschlagenen „What The World Needs Now“ von McCoy Tyner. „One Amazing Night“ ist das akuellste Bacharach-Tribute und das mit dem höchsten Populär-Aufkommen: Sheryl Crow, Elvis Costello, Barenaked Ladies, All Saints, Ben Folds Five, Chrissie Hynde... Was durchaus keine Laune der Branche ist. Der Bacharach-Sound erlebte seine hohe Zeit in den 60er und frühen 70er Jahren, „zu einer Zeit, als Amerika aufgehört hatte, wie wild zu jitterbuggen“ (US-Magazin). Möglicherweise sind die End-90er eine ähnliche Zeit, eine, in der man längst aufgehört hat, wie wild zu „grungen“, und langsam aufhört, bis zur Bewußtlosigkeit zu trancen und zu grooven. Rapper sampeln lyrische Opernarien, obwohl es weiß Gott genug anderes zu sampeln gäbe. Der erfolgreichste Metallica-Song (mit Marianne Faithfull) ist zugleich der melodiöseste.

Die Singer-Songwriter-Tradition ist das Fruchtbarste, was Beat, Pop oder Rock bisher zu bieten hatten. Neil Diamond, auch ein Profi-Alpinist der Showtreppen, formulierte es so: „Ein Junge mit einer Gitarre (oder mit einem Klavier) und ein paar komischen Ideen kann eine Menge Unruhe anzetteln.“ Burt Bacharachs erster Hit, 1957, war ein Country-Song für Marty Robbins. Die Filmmusik zu „Butch Cassidy and the Sundance Kid“ fuhr ihm zwölf Jahre später einen Oscar ein. „What the world needs now“, „Do you know the way to San José“, „Raindrops keep fallin' on my head“, „Close to you“ – in den 90ern erlebte BBs „schmaltzy“ Sound unter Beihilfe jüngerer Ziehsöhne wie Oasis, Massive Attack oder REMs Michael Stipe seine Auferstehung als Paradigma des Hippen. So zeigt das Cover von Oasis' „Definitely Maybe“ ein Bild Bacharachs, Noel Gallagher stand mit seinem Idol auf der Bühne, und ein gemeinsames Album irgendwann wird nicht ausgeschlossen.

Solche Reverenzen sind nur möglich, weil Bacharachs Material bei aller Oberflächenglätte doch elegant verbastelt ist, zudem eine gewisse Elastizität aufweist und sich bei der Vermittlung gewissermaßen klassenloser Gefühle dennoch alles um Genauigkeit dreht. Was Burt Bacharach, der stark vom Bebop und von seinem einstigen Lehrer Darius Milhaud beeinflußt ist, zum verblüffend langlebigen Ahnen macht, sind die ungewöhnlichen Rhythmus-, die auffallenden Akkordwechsel.

So bestand zwischen dem großen kleinen Burt und dem Pop, der früher Beat war, immer eine kleine Sympathie. Allein der BB-Song „Baby It‘s You“ wurde von den Shirelles, den Beatles, von Elvis Costello und Nick Lowe eingespielt. Das Tribute-Album „One Amazing Night“ ist insofern nur eine neue Sichtbarwerdung der Affinität zu diesem nicht so geheimen Über-Ich des Pop. Die Profis unter den „Night“-Beiträgern, Dionne Warwick und Luther Vandross, betreiben das Geschäft der Gefühlsvermittlung inzwischen leicht ermüdet. Die ehemalige Drifters-Sängerin Warwick wurde Anfang der 60er Jahre von Bacharach selbst als seine Interpretin schlechthin eingesetzt; ihr hat Burt B. nach seinen Jahren als musikalischer Leiter für Marlene Dietrichs Tourneen (1958–61) den Weg geebnet.

Warwicks vokal schlanke Brüchigkeit ist Geschmackssache und wenig variantenreich. Sheryl Crow oder die Barenaked Ladies absolvieren im Vergleich dazu – interessanterweise als BB-Laien vom Zentrum des Mainstream-Pops aus – eine passable Kür. Chrissie „Pretenders“ Hyndes Kätzchen- Purren ist schlicht gesetzwidrig; es hat in Bacharachs relativ abstrakter Welt der mittelschwerelosen Tragöden und Komödianten einfach nichts zu suchen. Dann sind da die genialen Dilettanten vom Fach. Elvis Costellos ist mit „God give me strength“ vertreten, das er 1996 zusammen mit BB für „Grace of my Heart“ (Allison Anders Film über den Brill Building Pop) schrieb – mit gewohnter und immer auch leicht lächerlicher Verve. Anders hat Costello und BB erst zusammengebracht; Costellos Seelenverwandtschaft zum 69jährigen ging ja durch alle Zeitungen. Der Schauspieler Mike Myers („Wayne's World“, zuletzt „Studio 54“) dilettiert mit „What's new pussycat“ an einer frischeren Schnittstelle zwischen Tom-Jones-Komik und Flüsterbar. Was nun Costello angeht: Er hat Burt Bacharach stellvertretend die Anerkennung von Pop-intellektueller Seite verschafft, die Bacharach eigentlich – siehe Oasis – nicht benötigt, gegen die aber auch nichts einzuwenden ist. Immerhin ein Aufstieg von den „guilty pleasures“ zum Kulturgut- träger, der die Lücke zwischen Cole Porter und Paul McCartney schließt.

Dennoch wird Bacharach nie ein „guys-thing“ sein. Da sind schon die Texte (meist Hal David) vor. Die stimmigsten Bacharach- Interpretationen „(They long to be) Close to you“, „Always something there“ etc. pp.) stammen denn auch von Karen Carpenter, der Sängerin, die sich in den Siebzigern – doch Schrei nach Liebe ? – zu Tode gehungert hat. Wenn man sich einmal von der Kitschfolie gelöst hat, handelt es sich bei BB um eine eher gefährliche Musik. Bacharach jedenfalls meinte vor zwei Jahren, er habe nie gefunden, daß sie so einfach sei, so „easy to listen to“ – seine Musik. So easy zu singen ist sie schon gar nicht. See you later, elevator!

„One Amazing Night. A Tribute To Burt Bacharach“. (edel records)