Sind alle Juden vor Gott gleich?

In Israel tobt ein Streit zwischen Orthodoxen und Liberalen. Jetzt hat die Knesset ein Gesetz verabschiedet, das die Stellung der Orthodoxen stärkt. Kontrovers ist auch ein neues Konvertierungsgesetz  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

„Dies ist das erste antisemitische Gesetz, das die Knesset verabschiedet hat“, erklärte Yossi Sarid, Chef der linksliberalen Meretz-Partei. „Es diskriminiert Juden, nur weil sie der Reform- oder konservativen Bewegung angehören.“ Die Orthodoxen feierten einen in der Tat unerwarteten Sieg, der mit nur einer Stimme Mehrheit äußerst knapp ausfiel. Das Gesetz, das am Dienstag nach einer zweitägigen Debatte die Knesset passierte, verpflichtet alle Mitglieder der religiösen Räte dazu, einen Eid zu schwören, laut dem sie sich den Entscheidungen des orthodoxen Obersten Rabbinats in allen religionsgesetzlichen Fragen, also der Auslegung der Halacha, unterwerfen. Wer diesen Eid nicht einhält, verliert zukünftig seinen Sitz in den religiösen Räten.

Mit diesem Gesetz wollen die Orthodoxen verhindern, daß Mitglieder der Reform- und konservativen Juden an den Sitzungen der religiösen Räte teilnehmen. Zugleich hebelt das Gesetz einen Beschluß des Obersten Israelischen Gerichtshofes aus, der die religiösen Räte verpflichtet hatte, Sitzungen auch unter Teilnahme nicht- orthodoxer Mitglieder abzuhalten.

In der Hafenstadt Haifa hatte dies praktisch zu einem Boykott des religiösen Rates geführt. Die orthodoxen Mitglieder blieben der Sitzung einfach fern und verhinderten damit erst einmal die Beschlußfähigkeit. Vehement setzen sich die Orthodoxen auch gegen eine Teilnahme von Frauen zur Wehr. Als vor zwei Jahren in der Mittelmeerstadt Natanja einer Frau, ebenfalls per Gerichtsbeschluß, die Mitgliedschaft im religiösen Rat der Stadt zuerkannt wurde, wurden die Sitzungen des Rates schlicht abgesagt.

Die religiösen Räte sind für den Erhalt der Synagogen verantwortlich, sie beraten in kommunalen und sozialen Fragen, entscheiden über finanzielle Unterstützung Hilfsbedürftiger und bieten Rat und Lebenshilfe entsprechend den jüdischen Religionsgesetzen. Ihre Mitglieder sind zumeist, aber nicht ausschließlich, Rabbiner. Sie werden nicht gewählt, sondern entsprechend dem lokalen Parteienproporz in dieses Gremium entsandt. Ihr Gehalt entspricht dem eines hohen Kommunalbeamten.

Den jüngsten Gesetzentwurf hatte die Regierung auf Verlangen der religiösen Parteien eingebracht. Diese hatten gedroht, die Verabschiedung des Haushalts für 1999 weiter zu verzögern, sollte das Gesetz nicht zur Abstimmung gestellt werden. Die knappe Mehrheit von 50 zu 49 Stimmen fand das Gesetz nur, weil viele Abgeordnete der Arbeitspartei aus wahltaktischen Gründen der Abstimmung fernblieben und die arabischen Abgeordneten sich enthielten. Es war just die Stimme des neuen Chefs der Zentrumspartei, Jitzhak Mordechai, die als ausschlaggebend angesehen wurde. Während Mitglieder der religiösen Parteien Mordechai auf die Schulter klopften, äußerte ein zur Zentrumspartei übergetretener Abgeordneter sein Unverständnis über Mordechais Votum. Andere Parteiführer haben nämlich den Kampf gegen „religiösen Zwang“ auf ihre Fahnen geschrieben.

Die Reform- und konservativen Juden demonstrierten vor der Abstimmung. Ihre Parole: „Vor Gott sind alle Juden gleich.“ Der Präsident der konservativen Juden in Israel, Ehud Bandel, der, obwohl Mitglied des religiösen Rates in Jerusalem, bisher von allen Sitzungen ausgeschlossen blieb, sagte, das Gesetz transportiere die Botschaft, daß Reform- und konservative Juden in Israel keinen Platz hätten. Es sei schlimmer als das „Konvertierungsgesetz“, weil es sich nicht nur gegen Rabbiner, sondern gegen alle Juden einer anderen religiösen Ausrichtung wende.

Das „Konvertierungsgesetz“, das noch nicht verabschiedet ist, sieht vor, daß das orthodoxe Rabbinat allein entscheidet, wer Jude ist. Uri Regev, der Direktor der Reformjuden, sagte gegenüber der taz, daß es für ihn leichter sei, mit Palästinensern zu diskutieren, als mit seinen orthodoxen Religionsbrüdern. Bandel wollte nicht ausschließen, daß dennoch andere Strömungen des Judentums in den religiösen Räten sitzen. Der Rat habe ja nicht die Aufgabe, über die Auslegung der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes, zu entscheiden, sondern über die verwaltungstechnischen Aspekte der Religionsausübung.

Während in Israel nur gut zwei Prozent der Bevölkerung dem Reform- oder konservativem Judentum angehören, stellen sie in den USA die überwältigende Mehrheit. Besonders empört zeigte man sich hier über eine Äußerung des obersten sephardischen Rabbiners, Eliyahu Bakschi-Doron, der angeblich erklärt hat, daß die Reformjuden durch die Akzeptanz von interreligiösen Mischehen mehr Juden „auslöschen“, als dies im Holocaust geschehen sei. Der Direktor der konservativen Rabbiner in den USA, Joel Meyers, nannte die Äußerung Bakschi-Dorons „bestürzend“. Er warnte davor, daß das neue Gesetz und derartige Äußerungen Israels Image in den USA sehr schaden könnten. „Israel wird als ein religiös repressives Land angesehen“, sagte er.