Im Winter kriegt der ANC weniger Stimmen

■ Parteiengezänk und Verfassungsstreit: Südafrikas schwerer Weg zu Neuwahlen

Johannesburg (taz) – Zwischen Mai und Juli dieses Jahres muß zum zweiten Mal in der Geschichte Südafrikas eine demokratische Wahl stattfinden. Einen Wahltermin allerdings gibt es noch nicht, und die Vorbereitungen dafür sind von Gezänk überschattet. Der Vorsitzende der unabhängigen Wahlkommission, Richter Johann Kriegler, setzte nun ein Signal: Entnervt reichte er am Dienstag bei Präsident Nelsona Mandela seinen Rücktritt ein.

Zwar versuchte der regierende Afrikanische Nationalkongreß (ANC) dies herunterzuspielen. Mandela erklärte kühl, es gebe keine Meinungsverschiedenheiten. Doch Kriegler, der sich schon mit der Organisation von Südafrikas ersten freien Wahlen vor fünf Jahren internationale Anerkennung verschaffte, formulierte das anders: „Ich hoffe, daß nach meinem Rücktritt die Spannungen zwischen der Kommission und der Regierung nachlassen“, sagte er, nachdem er monatelang mehr Geld und mehr Autonomie für die Wahlkommission gefordert hatte. Jetzt läuft dem ANC die Zeit davon, denn die Wahl eines neuen Vorsitzenden ist eine komplizierte Prozedur, und gemäß der geltenden Verfassung müssen die Wahlen zwischen Anfang Mai und Ende Juli stattfinden.

Im Streit um die Verfassung ist den Politikern bezüglich des Wahlprocederes ein kleiner, aber folgenschwerer Fehler unterlaufen: Die Amtszeit des jetzigen Parlaments endet am 30. April, erst danach aber darf der Präsident den Termin für Neuwahlen bekanntgeben. Binnen 90 Tagen müssen dann Parlament und Präsident neu gewählt werden. Am gleichen Tag sollen nach dem Willen des ANC auch die Parlamente in den neun Provinzen neu gewählt werden.

Um den Wahltag früher festsetzen zu können, bedürfte es einer Verfassungsänderung. Die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament verfehlte der ANC 1994 mit 62,6 Prozent der Stimmen. In zeitraubenden Debatten konnten sich die Parteien nun bislang nicht auf einen Konsenstermin einigen. Derzeit wird trotz hartnäckiger Dementis aus dem Präsidentenbüro am häufigsten der 19. Mai genannt.

Während die Oppositionsparteien „Demokratische Partei“ (DP) und die gerade umbenannte ehemalige Apartheidpartei „Neue Nationale Partei“ (NNP) alles daransetzen, den Termin so weit wie möglich hinauszuzögern, neigt eine Mehrheit im ANC zu einem frühen Wahltag. Spätestens Ende Mai nämlich wird es Winter in Südafrika, und eisige Temperaturen könnten die Wahlberechtigten vor allem in ländlichen Gebieten – in der Mehrheit potentielle ANC- Wähler – davon abhalten, sich stundenlang anzustellen, um ihr Kreuz machen zu dürfen. Je später die Wahlen, so kalkuliert die Opposition, desto mehr schadet das dem ANC.

Eine Einigung ist nun frühestens Mitte Februar zu erwarten, wenn die diesjährige Sitzungsperiode des Parlaments beginnt. Doch selbst dann ist der Termin noch ungewiß, denn DP und NNP haben Klage gegen die Regierung angestrengt. Sie sehen das Recht auf eine ungehinderte Beteiligung an der Wahl eingeschränkt, weil der ANC im Wahlgesetz eine kleine Hürde eingebaut hat. Wer wählen will, muß sich in ein Wahlregister eintragen lassen, und dies darf wiederum nur, wer einen elektronisch kodierten Personalausweis vorzeigen kann. Rund 5 Millionen der knapp 20 Millionen Wahlberechtigten aber besitzen gar keine oder veraltete Ausweise, und das zuständige Innenministerium ist vollkommen überfordert, die Flut der eingegangenen Anträge fristgerecht zu bearbeiten.

Nicht zuletzt deshalb war die erste Runde der Wählerregistrierung Ende vergangenen Jahres ein Flop. Erst 9 Millionen Menschen haben sich in die Listen eintragen lassen. Nun soll ein zweiter Durchgang am kommenden Wochenende die blamablen Zahlen etwas aufbessern. Doch auch er wird kaum darüber hinwegtäuschen können, daß noch ein wichtiger Faktor hinzukommt: politische Apathie, vor allem unter Erstwählern und auch bei potentiellen ANC-Anhängern.

Für den ANC ist es eine Testwahl. Sein haushoher Sieg steht außer Zweifel, interessant wird nur, ob er eine Zweidrittelmehrheit erringen kann. Nach jüngsten Meinungsumfragen liegt Mandelas Partei bei knapp 60 Prozent, während die NNP mit 9 Prozent in die Bedeutungslosigkeit zu stürzen droht. Mit dem Jahreswechsel hat der Wahlkampf nun überall begonnen. Nach den Morden an zwei Oppositionspolitikern aus der neugegründeten „Vereinigten Demokratischen Bewegung“ (UDM) ist allerdings auch deutlich geworden, daß es mit politischer Toleranz auch nach fünf Jahren Demokratie noch nicht allzuweit her ist. Kordula Doerfler