Trittin als Sündenbock

Viele in der SPD sehen in dem grünen Umweltminister den Schuldigen für das Hin und Her beim Atomausstieg  ■ Aus Bonn Markus Franz

Nun also doch. In moderatem Ton zwar, aber immer deutlicher, schießt sich die SPD auf Umweltminister Jürgen Trittin als Sündenbock für das Dilemma um den Atomausstieg ein. „Trittin ist zu forsch gewesen“, sagt der parlamentarische Geschäftsführer Wilhelm Schmidt. Er habe den Ablauf zu sehr zugespitzt. Der Umweltexperte der SPD, Michael Müller, sieht die Schuld für das chaotische Management nicht bei der Sozialdemokraten: „Die Verhandlungen sind doch zeitlich von den Grünen gedrückt worden.“ Und hinter vorgehaltener Hand sind noch deutlichere Töne zu hören: Trittin habe mit dem Kopf durch die Wand gewollt und dadurch alles verdorben.

Dennoch will niemand allein dem Umweltminister die Schuld geben, zu eindeutig sind die Fehler des Kanzleramtes. Es kann den Kanzler und seine Zuarbeiter wohl kaum entlasten, wenn ein Minister des kleinen Koalitionspartners bei einem solch wichtigen Thema angeblich alles vermurkst. Wieso hat Gerhard Schröder per Fernsehinterview bis zum Sonntag den Eindruck erweckt, er stehe hinter seinem Umweltminister? Und das, obwohl Kanzleramtsminister Bodo Hombach und Wirtschaftsminister Werner Müller Trittin schon am Freitag bearbeitet hatten, nicht auf dem Ausstiegstermin 1. Januar 2000 zu bestehen? Das am Sonntag ausgestrahlte Interview mit Schröder war zwar schon am Freitag aufgezeichnet worden. Aber warum wurde es nicht zurückgezogen? Wir haben gepennt, sagen die Sozialdemokraten. Also lautet ihr Motto: Lieber nicht zu sehr auf den Grünen rumhacken, sonst fällt unsere Kritik nachher noch auf uns selbst zurück.

Fraktionschef Peter Struck gab sich am Dienstag alle Mühe, Trittin in Schutz zu nehmen. Die Kommentierung in den Medien zu Lasten des Umweltministers sei ungerecht. Trittin habe bloß die „Verabredungen in Sprache gegossen“, die am 13. Januar im Kanzleramt getroffen worden seien. Seiner Meinung nach, so Struck, wolle man Trittin zu Unrecht den Schwarzen Peter zuweisen. Was der Fraktionschef verschwieg, war sein Ärger darüber, erst am Montag von Trittin die überarbeitete Fassung des Gesetzentwurfs zum Atomausstieg erhalten zu haben. Eines Gesetzentwurfs wohlgemerkt, den die SPD- Fraktion am darauffolgenden Freitag in den Bundestag einbringen sollte. Ob Trittin den Gesetzenwurf etwa deshalb so lange hinausgezögert hat, um ihn auf diese Weise durchzupauken?

Niemand bei der SPD möchte das mit Gewißheit behaupten, aber niemand weist diesen Verdacht zurück. Dem Gesetzentwurf waren acht Seiten angefügt, auf denen Trittin offene rechtliche Fragen aufgelistet hatte. Das machte das Maß endgültig voll. Struck hatte Angst, daß sich der Ruf der SPD verfestigt, ständig nachzubessern, wie schon bei den 630-Mark-Jobs. Wilhelm Schmidt behauptet, daß die Fraktion den Gesetzentwurf notfalls auch im Alleingang abgelehnt hätte.

Manche in der Fraktion glauben allerdings nicht so recht an die Souveränität der Fraktion gegenüber dem Kanzleramt. Die Fraktionsspitze wolle wohl den Eindruck vermeiden, sie habe nichts mehr zu melden, meinen einige Sozialdemokraten. In Wirklichkeit sei die Fraktion „stinksauer“ darüber, daß sie übergangen worden sei. Es wäre doch klar gewesen, heißt es, daß Trittin mit seinem harten Kurs nicht durchkommen würde. Jeder hätte wissen müssen, daß das mit Schröder nicht zu machen sei. Aber öffentlich klagen wollten sie nicht. Ein Fraktionsmitglied sagt drastisch, warum: „Wir müssen Rot-Grün retten.“