Die Opfer sind bis heute nicht rehabilitiert

■ Im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen wurde der ermordeten Schwulen gedacht

Oranienburg (taz) – Sie wurden an Ort und Stelle zu Tode geprügelt; ihnen wurde mit einem kalten Wasserstrahl solange auf die Herzgegend gezielt, bis sie tot zusammenbrachen; sie wurden mit Wasser übergossen und bei extremer Kälte stundenlang stehen gelassen: Die Männer mit dem rosa Winkel, die Homosexuellen, „lebten niemals lange, sie wurden von der SS systematisch vernichtet“, schrieb ein Häftling aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen.

Erst in letzter Zeit wird der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus öffentlich gedacht. Anläßlich des Holocaust-Gedenktages am 27. Januar versammelten sich gestern im ehemaligen KZ Sachsenhausen in Oranienburg nördlich von Berlin etwa 300 Männer und Frauen, um der ermordeten Homosexuellen zu gedenken.

In dem „Konzentrationslager der Reichshauptstadt Berlin“ waren so viele Homosexuelle inhaftiert wie sonst in keinem anderen Lager. Homosexuelle galten nach der NS-Ideologie als „rassevernichtend“, weil sie „dem Führer“ kein Kind schenken konnten.

Steffen Reiche, Kulturminister Brandenburgs, berichtete auf der Gedenkstunde, daß während der Nazi-Herrschaft etwa 130.000 Schwule auf einer sogenannten rosa Liste von den Behörden erfaßt wurden. 45.000 von ihnen wurden wegen des Verstoßes gegen den Paragraphen 175 des Strafgesetzbuches verurteilt, zwischen 5.000 und 10.000 kamen ins Lager.

Bis 1969 blieb der Paragraph 175 StGB in der Fassung der Nazis von 1935 in der Bundesrepublik unverändert in Kraft. Alle homosexuellen Handlungen unter Männern waren strafrechtlich verboten. Bis heute warten die inhaftierten Schwulen auf eine Entschuldigung des Bundestages für die auch in der Bundesrepublik lange anhaltende Gültigkeit des Nazigesetzes. Bis heute haben die überlebenden Opfer keine oder nur eine lächerlich kleine Entschädigung für die KZ-Haft bekommen. Die nur noch wenigen überlebenden Opfer sind bis heute nicht rehabiliert. „Wir haben zuwenig gekämpft“, sagte der Leiter der Gedenkstätte, Günter Morsch.

Danach legten an der Station Z, wo früher die Krematorien und eine Genickschußanlage standen, etwa 20 Vertreter gesellschaftlicher Gruppen Kränze nieder: vom Berliner Senat über den Schwulenverband und den Zentralrat der Juden in Deutschland bis zum Bezirksverband der ÖTV. Mit einem Sonderbus konnten Teilnehmer der Gedenkstunde vom früheren Lager zum Bahnhof Oranienburg zurückfahren. Auf dem Fahrplan der Haltestelle vor dem Bahnhofsgebäude steht, mit Filzstift gekritzelt: „Martin ist schwul.“ Philipp Gessler