Streit um Quoten und Prämien

Das Europäische Parlament diskutiert heute das Agrarpaket der Agenda 2000. Die Abgeordneten sind uneins über die notwendigen Reformen  ■ Aus Brüssel Daniela Weingärtner

Fünf Berichte zur Agrarreform stehen heute im EU-Parlament in Brüssel zur Abstimmung. Sie befassen sich mit allen Bereichen der Reform, die seit Monaten als Teil der „Agenda 2000“ diskutiert werden: Mit den Garantiepreisen für Rindfleisch, Milch und Getreide, die zu Marktverzerrungen und Überproduktion führen. Mit der Frage, ob landwirtschaftliche Betriebe in Zukunft nicht besser direkt bezuschußt werden sollten als auf dem Umweg über Prämien und Preise. Und mit der Überlegung, einen Teil der Agrarfinanzierung aus dem EU-Haushalt auszugliedern und in nationale Zuständigkeit zurückzugeben – Stichwort: Kofinanzierung.

Wie schwer es ist, aus dem Gewirr von Länder- und Verbandsinteressen mehrheitsfähige Reformansätze herauszufiltern, zeigt die Tatsache, daß es zu den fünf Berichten inzwischen 500 Änderungsanträge gibt. Der Papierstapel hat die 20-Zentimeter-Marke überschritten. Eigentlich hätte im Agrarausschuß Vorarbeit geleistet werden müssen, um dem Plenum den heutigen Abstimmungsmarathon zu ersparen. Die Gegensätze erwiesen sich aber als unüberbrückbar.

Dabei hat Agrarkommissar Franz Fischler mit seinen Vorschlägen zur Neuordnung der Agrarfinanzierung einen Entwurf vorgelegt, der allen Abgeordneten, denen der ländliche Raum am Herzen liegt, entgegenkommen sollte: Fischler wollte einen Kompromiß finden, der einige absurde Auswüchse des bisherigen Systems beseitigt, bevor die Finanzminister sich des Themas bemächtigen würden. Daß denen eine generelle Kürzung der Agrarausgaben die liebste Lösung wäre, liegt in der Natur der Sache.

Fischlers Reformpaket würde die Agrarausgaben für eine Übergangszeit weiter in die Höhe treiben. Deshalb gibt es Widerstände gegen seinen Entwurf. Langfristig würden allerdings die Ausgaben sinken und außerdem wünschenswerte Entwicklungen im ländlichen Raum gezielt gefördert.

Um bis zu 30 Prozent sollen die garantierten Preise für Getreide, Rindfleisch und Milch laut Fischler-Vorschlag gesenkt werden. Nur so, glaubt der Agrarkommissar, könnten die Bauern langfristig lernen, sich mit ihren Produkten auf dem Weltmarkt zu behaupten. Dann würden nicht länger Brüsseler Prämien, sondern Marktpreis und Nachfrage darüber entscheiden, was auf den Feldern wachsen soll. Der absurde Kreislauf von Überproduktion, weil Prämien locken, von teurer Lagerhaltung und teurer Lebensmittelvernichtung wäre durchbrochen. Die Klagen der Welthandelsorganisation, daß Brüssels Preispolitik den Wettbewerb einschränke, wären vom Tisch.

Kaum zu glauben, daß ein so vernünftiger Vorschlag innerhalb der EU nicht mehrheitsfähig sein könnte. Zumal ein Ausgleich für die entgangenen Stützpreise in Form von Direktbeihilfen an Landwirte vorgesehen ist. Aber die Bauern fürchten um ihre Besitzstände. Direktbeihilfen würden nicht wie Garantiepreise automatisch fließen, sondern müßten von Jahr zu Jahr neu im EU-Budget verankert werden. Damit wären stetig wiederkehrende kritische Diskussionen über die Unterstützung des Bauernstandes programmiert.

Kommissar Fischlers zweite Reformidee betrifft die „Kofinanzierung“. Ein Teil der Agrarzuschüsse soll nicht mehr über Brüssel abgewickelt, sondern direkt aus den nationalen Haushalten bezahlt werden. Der Entwurf schlägt einen Eigenanteil von 25 Prozent vor. Die Deutschen hätten gegen 50 Prozent und mehr nichts einzuwenden – sie würden damit Geld sparen. Da sie mehr in die Gemeinschaft einzahlen, als sie herausbekommen, und außerdem die Landwirtschaft einen geringen Anteil des Bruttoinlandsprodukts ausmacht, könnten sie je nach Kofinanzierungsquote mehrere Milliarden Mark sparen. Vehement wehren sich die Agrarländer gegen diese Idee – allen voran Frankreich und Spanien.

Dagegen würden Länder, in denen kleine bäuerliche Betriebe überwiegen, bei der sogenannten „Deckelung“ am besten abschneiden. Sollten die anderen Modelle politisch nicht durchsetzbar sein, wird darüber nachgedacht, die Direktbeihilfen auf 100.000 Euro je Betrieb und Jahr zu begrenzen. Schon das würde den Agrarhaushalt um 2,3 Milliarden Euro schrumpfen lassen. Aber die Regionen, in denen es viele Großbetriebe gibt, sind dagegen – allen voran Ostdeutschland.

Angesichts solcher Interessengegensätze scheint der Fischler- Vorschlag, der vielen Experten viel zu zaghaft ist, geradezu revolutionär. Am Ende wird vielleicht nichts davon übrig bleiben als ein leicht beschnittenes Preis- und Prämiensystem mit einer neuen Flut von Sonderfällen.