Zwischen Klischee und Sprachlosigkeit

■ Die Städtische Galerie Delmenhorst zeigt eine Ausstellung zum Thema „Melancholie und Eros“

Wenn über jeden Fernsehkanal Sexsendungen flimmern, deren ModeratorInnen Kultstatus erlangen, und Pornodiven auch jenseits ihres eigentlichen Metiers zu Pop(hups!)-Stars avancieren, hat die Kunst einen schweren Stand, wenn sie zum Thema „Erotik“ noch etwas beitragen will. Gustave Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt“, eine Darstellung der weiblichen Schamzone, provozierte im 19. Jahrhundert einen riesigen Skandal. Vor allem deshalb, weil man das in einer derart fotorealistischen Darstellung in der Öffentlichkeit noch nicht gesehen hatte.

Doch in Zeiten, wo einem das Sexleben des US-amerikanischen Präsidenten vertrauter ist als das eigene, wo der Künstler Jeff Koons seine ehelichen Kopulationspraktiken mit Illona Staller in Fotos und kitschigen Skulpturen detailverliebt in Szene setzt und zumindest für die weiblichen Fernsehstars und –sternchen das Bekenntnis gilt: „Ich war nackt im Playboy, also bin ich“, provoziert allenfalls die hartnäckige Weigerung zur öffentlichen Bloßstellung noch einen Skandal. Wie man seit Monaten bei der Fernsehmoderatorin Verona Feldbusch beobachten kann.

Kaum ein anderes Thema also ist von den modernen Medien so sehr ockupiert worden wie die Sexualität und hat der Kunst somit eines ihrer ältesten thematischen Terrains streitig gemacht. Welche Auswirkungen diese Konkurrenzsituation auf die Kunst hatte, kann nun in der Städtischen Galerie Delmenhorst betrachtet werden. 50 Werke von 40 KünstlerInnen aus den letzten 30 Jahren zeigt die Ausstellung „Melancholie und Eros“ – darunter so bekannte Namen wie Joseph Beuys, Helmut Middendorf, Hermann Nitsch und Salomé.

Von der Pop-Art über die Neue Wilde Malerei bis zur Comic- und Kitsch-Art sind die verschiedensten Kunstrichtungen vertreten, die bei aller stilistischen und thematischen Unterschiedlichkeit gemeinsam haben, daß ihnen die Schwierigkeit anzusehen ist, dem an sich facettenreichen Themenfeld „Erotik“ etwas Bemerkenswertes abzugewinnen. Ist der Kunst im Medienzeitalter schlicht ein Sujet abhanden gekommen?

Zumindest gewinnt diesen Eindruck der, der die Sammlung der Eheleute Axel und Christa Murken zum Maßstab nimmt, aus deren Bestand die Wanderausstellung zusammengestellt wurde. Selbst in den ironisierenden, kunstgeschichtliche Traditionen persiflierenden Körperstudien von Norbert Tadeùsz bleibt der männliche Blick altvertraut in geradezu kindischer Verspieltheit fixiert auf die weibliche Scham. Ob bei der sich unter der Höhensonne räkelnden nackten Frau oder den fünf sich verrenkenden Turnerinnen auf dem großformatigen Ölgemälde „3 Zweier, 1 Einzel“: Tadeùsz' malerischer Gestus wirkt uneingestanden voyeuristisch. Auch Tadeùsz' Lehrer Joseph Beuys bedient mit einer Bienenwachsinstallation, die sich im Versuch der Figurierung archetypischer Bilder ergeht, klassische männliche Phantasien. Die Frau – genauer: ihr Schoß – ist das Epizentrum des Lebens, Symbol des Gedeihens. Nun ja.

Nicht viel überzeugender fallen aus heutiger Perspektive die Versuche aus, Erotik mit Politik zu verbinden, also die Aspekte eigens zu akzentuieren, die ihr natürlich immer schon innewohnen. Achim Duchows „Matrosenlieben“ von 1982, eine späte plakative Hommage an den '68er-Slogan „Make love not war“, wirkt ebenso altbacken wie Judith Samens Fotoarbeiten aus den 90er Jahren, in denen sie sich unter Einbeziehung von Handtäschchen und Küchensieb mit weiblicher Identitätsfindungen befaßt. Selbst als bissig-ironischer Blick auf feministische Debatten funktioniert diese sich im Vordergründigen verlierende Arbeit nicht.

Es mag die Folge einer Überdosis Zeitgeist sein, daß derartige Verobjektivierungen großer politischer Diskurse heutzutage eher befremden. Und womöglich ist es ebenfalls jenem Geist geschuldet, daß die eindrücklichsten Werke in der Galerie scheinbar Flüchtiges und Privates inszenieren – und, auch das bemerkenswert, durchweg von Frauen stammen.

„Die Weisheit wird mit Blut erkauft“, gemalt von der 70jährigen Maria Lassnig, zeigt einen weiblichen Torso, der von gewaltigen Kräften zerissen zu werden droht – eine ebenso schonungslose wie verstörende Auseinandersetzung mit dem Prozeß des Alterns. Die ebenfalls aus Wien stammende Künstlerin Elke Krystufek ist mit einer herausragenden Arbeit vertreten. Ein Selbstporträt zeigt sie mit einem weißem Gesicht vor hellem Hintergrund. Allein ihre Augen, ihr Mund,ihr rötliches Haar und ein grünes Kleidungsstück, mithin die Insignien der Weiblichkeit und zugleich tatsächlich Teile ihres Selbst, bewahren dieses Gesicht davor, in die Unsichtbarkeit abzugleiten.

Und schließlich bleiben die bekannten Fotografien der New Yorkerin Nan Goldin in Erinnerung. Diese Momentaufnahmen aus ihrem privaten Freundeskreis, in dem Liebe und Tod ständige Gäste sind, versuchen nicht, Gewichtiges über die Liebe und Erotik zu erzählen, sondern sind Liebe und Erotik. Und dabei voller Melancholie.

Franco Zotta

Die Ausstellung „Melancholie und Eros“ läuft noch bis zum 4. April in der Städtischen Galerie Delmenhorst/Haus Coburg. Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr; Do 10-20 Uhr. Führungen o.ä. können unter Tel.: 04221/1 41 32 vereinbart werden. Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog erschienen (38 Mark)