"Wir sind ein kreatives Theater"

■ Helmut Baumann, Intendant des Theaters des Westens, wird am Sonntag 60 Jahre alt. Ein Gespräch über Erfolge und Flops, die Aussichten des deutschen Musicals und Baumanns Zukunft nach seinem Abschied vom Th

Helmut Baumann, geboren 1939 in Berlin und ausgebildeter Tänzer, nahm 1963 sein erstes Engagement als Solist an der Hamburgischen Staatsoper an. 1970 gründete er gemeinsam mit seinem Lebensgefährten Jürg Burth das Tanzforum Köln, die erste moderne Tanzkompagnie Deutschlands. Sein Debüt als Regisseur gab Baumann 1972 am Thalia-Theater Hamburg. 1983 übernahm er die künstlerische Leitung des Theaters des Westens. Seit 1993 ist er Intendant des Musicalhauses an der Kantstraße.

Über 500mal spielte er dort die Hauptrolle der Zaza in „La Cage aux Folles“. Weitere Inszenierungen waren „Cabaret“, „Eins, Zwei, Drei“ oder zuletzt „30°60°90°“. Derzeit bereitet er die deutschsprachige Erstaufführung des auf Fellinis Film „81/2“ basierenden Musicals „Nine“ von Maruy Yeston und Arthur Kopit vor, das am 17. Februar Premiere haben wird. Mit dieser Inszenierung verabschiedet sich Helmut Baumann als Intendant vom Theater des Westens. Im Juli übernimmt Elmar Ottenthal, derzeit noch Intendant des Theaters Aachen, seine Stelle.

taz : Ihr desginierter Nachfolger Elmar Ottenthal war in Wien als stellvertretender Generalintendant für die Großproduktionen wie „Les Misérables“ und „Phantom der Oper“ verantwortlich, in Aachen inszenierte er das Kommerzmusical „Gaudi“. Haben Sie Angst, Ihr Haus könnte zur Abspielstätte internationaler Musicalhits heruntergekommen?

Helmut Baumann: Nein, diese Angst habe ich eigentlich nicht, weil der neue Intendant auch mit dem Auftrag antritt, lebendiges Musiktheater im Theater des Westens zu machen. Wenn es sich kommerzialisieren würde, es nur noch ein Stück X im Dauereinsatz geben würde, dann wäre das Haus nur noch eine Hülle, aber kein Theater mehr. Es ist erklärtes Ziel der Politiker, daß dies mit dem Theater des Westens nicht passiert.

Aber doch haben Sie sich zum Jahresende „Grease“ ans Theater des Westens geholt, eine ganz und gar kommerzielle Produktion. Nur um Wolfgang Bocksch eins auszuwischen?

Nein, nein, nein. Das war keine Rache. Auch das Theater des Westens muß manchmal etwas Gängiges spielen, das hundertprozentig funktioniert. Wir haben davor eine risikoreiche Uraufführung gemacht, „306090°“. Da muß man sich ab und an absichern. Das wird auch in Zukunft sicherlich passieren. Das heißt aber nicht, daß das Haus zu einer Garage wird, in der irgend etwas geparkt wird. Wir sind im Unterschied zum kommerziellen Musicaltheater ein altmodisches, kreatives, selbstschöpfendes Theater.

Das Publikum ist nicht berechenbar. Wo haben Sie sich im Laufe Ihrer Karriere mit Ihren Erwartungen am heftigsten danebengelegen?

Bei „La Cage aux Folles“ haben wir geglaubt, wir spielen das sechs oder acht Wochen, und dann ist Schluß. Letztlich haben wir das nun über einen Zeitraum von zehn Jahren gespielt und können es heute immer noch.

Ist das im Rückblick Ihre größte Leistung gewesen?

(lacht) Nein, mehr noch, daß ich es 15 Jahre mit den Politikern ausgehalten habe und daß ich gehe, ohne daß das Haus in Trümmern liegt.

Und Ihr größter Flop?

„Der blaue Engel“. Das war sehr hoch angesetzt und von mir ganz leidenschaftlich gedacht, Und wie das im Leben dann so passiert, da waren einfach zu viele negative Kräfte, die gegeneinanderwirkten. Es hat einfach nicht funktioniert, trotz aller großen Namen und Kapazitäten, die an der Show mitgewirkt haben.

Welche Veränderung wird „Der Glöckner von Notre Dame“ am Potsdamer Platz für die Musiktheaterszene Berlins mitbringen?

Die Show wird funktionieren. Schließlich ist da eine Firma am Werk, die mit großem Aufwand auch das Publikum mitbringt. Das kann für Berlin nur gut sein. Zum einen, weil es den Potsdamer Platz belebt, zum anderen, weil es sich für die Stadt touristisch auswirken wird. Das gleiche Publikum wird sich dann vielleicht auch bei uns eine Aufführung anzusehen. Wichtig ist für solche Produktionen, daß eine finanziell gut ausgestattete Marktingindustrie dahintersteckt, damit man es schafft.

„Space Dreams“ und „Shakespeare & Rock' n Roll“ haben es beispielsweise nicht geschafft.

Das genau ist der Punkt. Man braucht zuerst die Maschinerie, um das Publikum zu holen. Es ist erstaunlicherweise überhaupt nicht die Qualität der Show, sondern die Qualität der PR, die den Erfolg ausmacht.

Obgleich inzwischen viele Stadttheater regelmäßig Musicals im Spielplan haben, steht es um das deutsche Musical nicht gut.

Es sind immer noch Versuche, unsere hier am Theater des Westens eingeschlossen, es zu schaffen, das deutsche Erfolgsmusical nach „Linie 1“ zu machen. Das ist immer noch nicht gelungen. Wir haben einfach nicht die Tradition. Wir haben zu schnell nur Lizenzen gespielt und adaptiert und uns vom angloamerikanischen Markt abhängig gemacht. Die Franzosen zum Beispiel haben gar kein Musical, weil sie mit ihren Revuen, ihren comédies musicales eine eigenständige Unterhaltungskultur besitzen. In Deutschland haben wir diese Kultur noch nicht. Die Traditionen, die dies voraussetzt, hätten wir haben können: die Spolianskys, die Weills hätten heute alle Schüler. Aber wir haben sie ja alle rausgeschmissen oder eliminiert. Also, woher soll's kommen?

Haben Sie Hoffnung, daß sich da noch etwas entwickeln wird?

Das ist eine Frage von ein, zwei Generationen. Da bin ich sehr sicher.

Landen viele Versuche bei Ihnen auf den Schreibtisch?

Es wird unendlich viel probiert. Jeder Dritte glaubt, er könne ein Musical schreiben. Das Problem der meisten dieser Versuche ist, daß ihnen das nötige Handwerk fehlt. Leute wie Porter, Sondheim, Gershwin, Coleman waren Komponisten mit allem Drum und Dran. Nicht jeder, der mal einen Song zusammenbringt – mag er auch noch so gut sein –, ist unbedingt ein Musicalkomponist.

Haben Sie ganz persönlich Hoffnungsträger, Talente, auf die Sie bauen?

Ich denke, daß Peter Lund eine große Zukunft hat, wenn er sein Talent ökonomisch einsetzt. Oder nehmen wir Niclas Ramdohr. Das sind junge Leute, die sicherlich drei bis vier Anläufe brauchen, bis es dann möglicherweise „Klick!“ macht. Das muß aber auch so sein. Auch in England oder Amerika verschwindet eine ganze Menge sehr schnell wieder in der Versenkung.

Bleiben nun noch für Sie Wünsche offen, die Sie als Regisseur gerne realisiert hätten?

Es gibt nicht die Inszenierung oder dasStück, das ich noch unbedingt verwirklichen möchte. Ich mache diesen Job seit fünfundzwanzig Jahren. Ich war zehn Jahre auf Reisen, in denen ich eigentlich keine Theaterstadt ausgelassen habe, und dann weitere fünfzehn Jahre hier am Haus. Da habe ich eine ganze Menge machen können.

Haben Sie ihr Leben nach dem Theater des Westens schon verplant?

Ich habe mir vorgenommen, es langsam und ruhig anzugehen. Ein Grund, warum ich diesen Stuhl räume, ist, daß ich mich auch wieder mit mir selbst beschäftigen möchte. Ich habe eine ganze Menge verschiedener Berufe, in denen ich arbeiten kann, und das muß nicht unbedingt der Regisseur, sondern kann auch der Schauspieler sein. Aber da muß erst ein bißchen Wasser die Spree hinunterlaufen, bis ich da Entscheidungen fälle. Interview: Axel Schock

B 1 zeigt aus Anlaß seines 60. Geburtstages am 31. Januar ab 22 Uhr ein Porträt von Helmut Baumann.