Konsens ist Nonsens –betr.: „Schröder knickt vor Atombossen ein“, taz vom 26.1.99, „Der WAAhnsinn darf doch weitergehen“, taz vom 27.1.99

Die Atom-Konsensgespräche skizzieren in tragischer Weise, daß in Deutschland in Wahrheit nicht die Volksvertreter die Macht haben, sondern die Großkonzerne. Sie dienen nicht dazu, so schnell wie möglich den Ausstieg zu erreichen, sondern so lange wie möglich den Weiterbetrieb zu ermöglichen.

Das Beispiel Schweden lehrt uns, daß die Willensbekundung zum Ausstieg noch lange nichts mit Ausstieg zu tun hat. So wurde hier bereits vor 20 Jahren der Ausstieg beschlossen, jedoch bisher kein einziges AKW abgeschaltet. Der „Konsens zum Ausstieg“ dient vielmehr der öffentlichen Beschwichtigung, zur Auflösung des Widerstands und zur langfristigen Sicherung des Weiterbetriebs der Atomkraftwerke. Die Strategie hat sich dabei nicht geändert. Schon vor mehr als zehn Jahren haben die konservativen Parteien als Befürworter die Atomenergie als „Übergangsenergie“ verkauft und die Ausstiegsoption immer in absehbarem Zeitraum dargestellt. Nicht anders ist das heute, nur daß die gleiche Hinhaltetaktik heute von der Führung der SPD praktiziert wird, die noch 1986 einen Parteitagsbeschluß zum „Ausstieg innerhalb von zehn Jahren“ formulierte. Den Konzernen kann es nach wie vor gleichgültig sein, ob Hoffnungen geweckt werden, daß irgendwann ein Ausstieg kommt. Hauptsache, niemand kommt auf die Idee, ein AKW früher als geplant abzuschalten.

Noch nie war so deutlich, wie sich ein Bundeskanzler zur Marionette von Atomkonzernen macht. Da fällt kein Wort mehr über Strahlengefahren, über die Opfer der Atomkatastrophe von Tschernobyl, über die Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen und über die Bevölkerungsmehrheit, die aus guten Gründen das Ende der Atomenergie wünscht. Bei „Sicherheit“ geht es im Kanzleramt nur noch um die Sicherheit von Aktionärsprofiten. Nach etwa 20 Jahren hat sich ein AKW amortisiert, das heißt, es produziert Reingewinn. Ein Recht auf Gewinn? Ein Recht auf Entschädigung? Aber kein Wort vom Recht auf die Unversehrtheit der Gesundheit der ganzen Bevölkerung? Kein Wort von all den Kosten, die der Steuerzahler für die Atomwirtschaft aufbringt? Kein Wort von Entschädigung für die Verseuchung in der Umgebung der WAA La Hague und Sellafield durch die Atomwirtschaft?

Zu Anfangszeiten der Atomwirtschaft bestand noch der moralische Anspruch, hochgiftiger Atommüll dürfe nur produziert werden, wenn ein „Entsorgungsnachweis“ bestehe (Atomgesetze). Heute spielt dieser Nachhaltigkeitsgedanke keine Rolle mehr. Obwohl niemand weiß, ob jemals ein sicherer Ort für die Endlagerung gefunden wird, darf der hochgiftige Müll weiter produziert werden. Mit dem Bau von vielen dezentralen Zwischenlagern wird die Bundesregierung den langfristigen Weiterbetrieb der AKW sichern. Die Atomindustrie spielt auf Zeit und setzt auf den Wechsel der politischen Mehrheit, bevor der Ausstieg überhaupt beginnt, und die Bundesregierung läßt sich hilflos über den Tisch ziehen.

Der Energiekonsens ist Nonsens, denn wie sich zeigt, sitzen Atomkraftbefürworter mit Befürwortern am Tisch (von Trittin abgesehen). Mit der beschlossenen Fortsetzung der Wiederaufbereitung wird nun die Produktion von Plutonium für Atombomben und die Vermehrung des Müllvolumens fortgesetzt. Welche moralischen Abgründe tun sich da angesichts der Tatsache auf, daß gleichzeitig vom Kanzler die Atomwaffenproduktion mancher Länder (zum Beispiel Irak) massiv kritisiert wird. Welche Täuschung des Wählers! Mark Harthun, Naturschutzreferent Nabu Hessen

Seit 20 Jahren engagiere ich mich gegen den atomaren WAAhnsinn. Meine Vorbehalte gegen eine grüne Parlamentspartei sind jetzt – nach einer kurzen Euphorie über das Ende der bleiernen Kohl-Ära – bestätigt worden. Diese Koalition dokumentiert das Primat der Wirtschaft gegenüber der Politik. Daß B90/Die Grünen, die es ohne den Kampf in Wyhl, Brokdorf, Merenberg, Gorleben und anderswo überhaupt nicht gäbe, bei dieser Farce mitmachen, ist schlimm genug. Schlimmer ist, daß sie dem Politik-Neusprech verfallen sind: Niederlagen werden als Erfolge und das Volk, Verzeihung, „die Basis“ wird für dumm verkauft.

Tatsache ist, daß es keine juristische Anspruchsgrundlage für Schadensersatzforderungen gibt, falls der Souverän, nämlich das Parlament, die Wiederaufarbeitung verbietet. Warum nicht die Koalitionsfrage stellen? Martin Menges, Dorndorf

„Schröder knickt vor Atombossen ein“ ...und wird von den „Großen Vier“ im Atomstromgeschäft auf Knien am Nasenring durchs Dorf geführt. Vor aller Augen: vor Wählern, Genossen und Koalitionspartnern. Und vor den Staatsmännern der Plutoniumfabriken betreibenden Länder Großbritannien und Frankreich. Bei uns als Wiederaufarbeitung verharmlost und verniedlicht. [...]

Die für alle Atomkraftwerke existenzbedrohende Einjahresfrist bis zum Aus für die als Wiederaufarbeitung verharmloste Plutoniumgewinnung ist vom Tisch. Unbefristet. Der daran hängende Nachweis einer zwar nicht wirklichen Entsorgung, sondern nur der Nachweis einer ziemlich unverbindlichen „Vorsorge“ für eine ohnehin in den Sternen stehende tatsächliche Entsorgung als eigentlich zwingende Voraussetzung für ungehinderten Betrieb der Atomkraftwerke zur Produktion von Strom und weiteren Reaktormüll als Futter für die Plutoniumfabriken ist erst mal gerettet. Jedenfalls bis über die nächste Bundestagswahl hinweg, nach der ja alles wieder ganz anders kommen kann. Sollten es die Atomstrom-Konzernherren bis dahin nicht geschafft haben, die CDU/CSU genügend zu fördern und für einen Wahlsieg fit zu machen, wird man halt weitersehen müssen.

Namens der Atomkraftwerke erklärte deren „Koordinator“ Timm in der Pressekonferenz zusammen mit Schröder am Ende des ersten Konsensgespräches: „Wir möchten ,geschichtsfest' festgestellt haben, daß wir den Ausstieg für einen Fehler halten.“ Und – das sagte Timm zwar nicht – der wird natürlich bei nächster sich bietender Gelegenheit korrigiert.

Derweil freut sich Trittin erklärtermaßen, daß Atomkoordinator Timm in diesem Zusammenhang immer das „Primat der Politik“ ausdrücklich akzeptiert habe. Warum sollte er auch nicht, die rot-grüne Politik läuft ja jetzt erst mal so, wie es die Repräsentanten von „Atomstaats“-Macht wollen. Hans Grossmann, Maintal

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