Eine amerikanische „Witzidee“

Bielefeld will sich in die Handball-Bundesliga einkaufen: Zweitligist TSG arbeitet an einer „Spielgemeinschaft“ mit dem 500 Kilometer entfernten Niederwürzbach  ■ Von Jens Kirschneck

Bielefeld (taz) – Alle paar Jahre mal ist die westfälische Provinzmetropole Bielefeld für bundesweite sportliche Aufregung gut. 1994 lockte der inzwischen entlassene Manager Rüdiger Lamm mit Fritz Walter, Thomas von Heesen & Co. ein paar gestandene Bundesligaprofis zum damaligen Oberligisten Arminia, damals ein Novum im deutschen Fußball. Knapp fünf Jahre später ist es der bis dato biedere Handball-Zweitligist TSG Bielefeld, der die Aufmerksamkeit auf sich zieht, und auch diesmal mutet die Sache zunächst obskur an. Der Verein schickt sich nämlich an, mittels einer Spielgemeinschaft mit dem finanziell angeschlagenen saarländischen Erstligisten TV Niederwürzbach (Entfernung zirka 500 Kilometer Luftlinie) quasi durch die Hintertür in die Bundesliga zu kommen.

Eine merkwürdige Geschichte. Der Bielefelder Kaufmann Carsten Förster, im Ehrenamt Obmann bei der TSG, erwirbt im Herbst letzten Jahres Mehrheitsanteile an der United Insurance Agency, einer Versicherung, und stellt bald darauf („So was von Zufall, ehrlich!“) fest, daß das Unternehmen als Sponsor der Bundesligisten SG W/M Frankfurt und TV Niederwürzbach firmiert. Im Falle Niederwürzbachs gar als Hauptsponsor. Etwa zur gleichen Zeit weiß deren Manager Rudi Hartz, daß er Schwierigkeiten haben wird, den Etat für die kommende Spielzeit aufzustellen – der saarländischen Wirtschaft sitzt das Geld nicht mehr so locker wie ehedem.

Förster und Hartz tauschen sich aus, und aus einer „Witzidee“ (Förster) entwickelt sich schließlich der konkrete Gedanke einer Spielgemeinschaft ab der Saison 1999/2000 mit Sitz in Bielefeld. Was für die einen einen geordneten Ausstieg bedeuten würde, wäre für die anderen die auf sportlichem Weg kaum erwerbliche Eintrittskarte zur Bundesliga.

Klar, daß der Veröffentlichung des revolutionären Plans ein gewaltiges Echo beschieden war. Schließlich kennt man derlei Praktiken bisher nur aus dem nordamerikanischen Profisport. Hartz hätte die Sache auch gerne noch ein wenig unter Verschluß gehalten, um „manches vorab zu klären“, aber da in der Handballszene die Gerüchteküche brodelte, sah sich Bielefelds Förster genötigt, in die Offensive zu gehen. Jetzt ist Hartz genervt, weil er ein wundes Ohr vom vielen Telefonieren hat, die Aufregung versteht er nicht: „Wenn man den Etat nicht zusammenbringt, wäre es unseriös, weiterzuspielen.“

Sportlich steht man relativ gesichert auf Rang 9 (18:18 Punkte). Hartz, seit 40 Jahren beim TV Niederwürzbach zweiter Vorsitzender, hat die Hoffnung auch noch nicht aufgegeben, die fehlende Million im Etat für die Folgesaison aufzutreiben: „Ich bin mein Leben lang ein Kämpfer gewesen.“ Aber wie man im Mißerfolgsfall unbeschadet aus der Sache rauskäme, daran denkt er eben auch.

Allerdings gibt es unter verbandsjuristischen Gesichtspunkten Probleme: § 4 der Spielordnung des Deutschen Handball-Bundes erlaubt Spielgemeinschaften nur in den geographischen Grenzen der Landesverbände. Um das zu umgehen, müßte die Spielordnung auf der nächsten erweiterten Vorstandssitzung des DHB im März entsprechend geändert werden. Daß sich für eine SG Bielefeld/Saar ebendort eine Mehrheit findet, muß angesichts des aktuellen Stimmungsbildes bezweifelt werden. So ließen die dominierenden Vereine der 2. Liga Nord, VfL Hameln und HSG Nordhorn, bereits anklingen, sie würden sich verschaukelt fühlen, müßten sie im Frühjahr ein erbittertes Duell um den Aufstieg austragen, derweil die dann vermutlich zwischen 5 und 8 plazierten Bielefelder die Saison gemütlich ausklingen lassen.

Auch auf seiten des DHB reagiert man reserviert, will sich aber vorerst einer Erklärung enthalten, zumal eine offizielle Anfrage der beteiligten Vereine noch nicht vorliegt. DHB-Männerspielwart Uwe Stemberg wirkt gefaßt („Nach sechs Jahren im Amt überrascht mich nichts mehr“), doch er warnt die Bielefelder, die Aufgabe zu unterschätzen: „Mit der jetzigen Mannschaft hätten sie nicht den Schimmer einer Chance.“

Das wissen die allerdings selber, wenngleich Trainer Leszek Krowicki beteuert: „Wir als Mannschaft haben immer über die Bundesliga nachgedacht.“ Daß die meisten seiner Spieler dafür tauglich wären, wird allerdings nicht bloß Spielwart Stemberg bezweifeln. Die Profis des TV Niederwürzbach, wie etwa Nationalspieler Christian Schwarzer, haben derweil bereits anklingen lassen, daß sie über ihr Interesse an einem Engagement in Bielefeld erst noch nachdenken müssen.

Daß die TSG Bielefeld sich für einen verhinderten Bundesligisten hält, hat wenig mit ihrem aktuellen Kader zu tun. Und es ist auch nicht so, daß die Sponsoren schon Schlange stehen. Doch bei der übermächtigen regionalen Konkurrenz – Lemgo, Minden, Nettelstedt und Hameln sind alle nicht weiter als eine Autostunde entfernt – ist die Erstligazugehörigkeit nahezu Pflicht, will man als Handballverein wahrgenommen werden. Und mit der mehr als 5.000 Zuschauer fassenden Seidensticker-Halle stünde eine ideale Spielstätte zur Verfügung.

„Bayern München ist auch erst durch das Olympiastadion richtig groß geworden“, sagt Carsten Förster, was so nicht ganz richtig ist, aber man weiß, was er meint. Beim Gastspiel des Tabellenletzten SG Flensburg-Handewitt II verloren sich kürzlich knapp 500 Menschen in der Halle, mehr als 1.000 sind es fast nie. Eine Klasse höher würde die TSG Bielefeld mit 3.000 Zuschauern im Schnitt kalkulieren. Eine Rechnung, deren Richtigkeit noch zu beweisen wäre.