Tiefkühlfrust

Was Sie schon immer über türkische Hochzeiten wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten: Yüksel Yavuz' Film „Aprilkinder“ blickt ironisch in Abgründe  ■ Von Daniel Bax

Papiertischdecken, Plastikbecher und Knabberzeug, grelle Beleuchtung und dröhnende Musik – türkische Hochzeiten in Deutschland sind ein immer gleiches Ritual, streng standardisiert und, trotz Generationswechsels, ein Fels der Kontinuität. Die Zeiten ändern sich, türkische Hochzeiten bleiben. So was kann man eigentlich nicht filmen, ohne daß es zum Klischee gerinnt. Oder doch?

In den – formal wie inhaltlich – sehr verschiedenen Filmen der neuen Generation türkisch-deutscher Regisseure, die zuletzt in die Kinos kamen, sind Hochzeiten das einzig Verbindende. Drei Beispiele, drei Perspektiven: In Thomas Arslans „Geschwister“ liefert eine Hochzeit den Hintergrund, vor dem sich die Entfremdung des Protagonisten von seinen Freunden offenbart. In Fatih Akins Kiezgangsterballade „Kurz und Schmerzlos“ bildet eine Hochzeit, bei der sich drei Freunde nach langer Trennung wiedertreffen, den Ausgangspunkt der Geschichte. Und in Yüksel Yavuz' „Aprilkinder“ ist eine Hochzeit die – vorläufige? – Endstation. Unvermeidbar scheint die verabredete Heirat mit der Cousine aus dem kurdischen Heimatdorf, in die sich der schüchterne Cem (Erdal Yildiz) am Ende fügt. Dabei hat er längst eine Liebesbeziehung mit der Prostituierten Kim (Inga Busch), die im Nachtlokal seines Onkels arbeitet. Es wirkt, als bestehe Cems Welt außerhalb der elterlichen Wohnung nur aus einer Kühlhalle mit hängenden Schweinehälften (ausgerechnet!), in der er malocht, und eben diesem Puff. Das Bordell, in dem die Geliebte arbeitet, bildet eine märchenhaft surreale Gegenwelt zum Alltag der Protagonisten: Cems Onkel Pala, dem der Laden gehört, verwandelt sich hier in einen androgynen, orientalischen Schlagersänger, und auch manch anderes Doppelleben offenbart sich beiläufig.

Zu Hause herrscht Schweigen. Mehmet, der jüngere Bruder, hat für Cem nur Verachtung übrig, er versucht sich als Kleinhehler. Dilan, die kleine Schwester, steckt im Pubertätsstreß, hört laut türkische Popmusik (Tarkan natürlich) und kapselt sich ab. Der Vater macht sich nur noch durch Husten bemerkbar, er hat sich ins innere Exil verabschiedet, während die Mutter das Ganze noch irgendwie zusammenzuhalten versucht. Die Kluft zwischen den Generationen äußert sich auch in der Sprache: Die Eltern sprechen Kurdisch, mit den Kindern Türkisch, die sich wiederum untereinander auf deutsch anblöken.

Was „Aprilkinder“ davor bewahrt, lediglich pittoreske Türken- Tristesse abzubilden, ist Yüksel Yavuz' lakonischer Humor und sein Blick für Details. Von gelungener Komik sind Dilans Avancen, mit denen sie Arif, den Freund ihres Bruders, so überrumpelt, daß dieser beim ersten Kuß Nasenbluten bekommt, oder Mehmets Wutausbruch am Küchentisch. „Du hast ja keinen Check, ey“, faucht er seinen konsternierten Bruder an. Genußvoll überzogen gerät Hasan Ali Mete die Figur des Onkels Pala als paschahafter Zuhälter, der seine musikalischen Ambitionen als Zeki-Müren-Double auslebt. Leider führt Yüksel Yavuz die Fäden, die er so schön spinnt, am Ende nicht zusammen, sondern läßt sie ins Leere laufen. Weil er keinen erzählerischen Spannungsbogen aufbaut, bleiben am Ende nur einzelne Szenen im Gedächtnis. Und das Gefühl: Das Leben ist ein langer, ruhiger Frust.

Klaustrophobisch der Kamerablick, als das Brautpaar in den Hochzeitssaal einzieht, in den Kreis der bekannten Gesichter, jedes inzwischen mit einer eigenen Geschichte. Der Schleier hebt sich, Cem küßt seine bebende Braut, und alle Fragen bleiben offen. „Aprilkinder“ bekam beim kürzlich zu Ende gegangenen Max- Ophüls-Festival den Zuschauerpreis zugesprochen. In die Kinos wird er aber wahrscheinlich wieder einmal nur die üblichen Verdächtigen locken.

„Aprilkinder“. Regie: Yüksel Yavuz. Darsteller: Erdal Yildiz, Inga Busch, Serif Sezer, Bülent Esrüngün u.a., 85 Minuten, Deutschland 1998