IRA-„Verräter“ in Nordirland ermordet aufgefunden

■ Seit dem Waffenstillstand ist die Zahl der „Strafaktionen“ auf beiden Seiten gestiegen

Dublin (taz) – „Wenn sie mich töten wollten, hätten sie leichtes Spiel“, sagte Eamon Collins, der ehemalige IRA-Mann, der zum Verräter wurde, noch vor wenigen Monaten in seinem kleinen Reihenhaus im nordirischen Newry. „Meine Hintertür steht tagsüber immer offen. Aber ich bin inzwischen so bekannt, daß sie es vielleicht nicht tun werden.“

Am Mittwoch taten sie es doch. Collins wurde nicht weit von seinem Haus auf einer Landstraße gefunden. Jemand hatte ihn erstochen und war dann mit dem Auto über seinen Kopf gefahren. Der 45jährige Collins war bis 1986 Nachrichtenoffizier der Irisch-Republikanischen Armee (IRA). Aufgrund seiner Informationen sind mindestens 15 Menschen getötet worden. Dann wurde er gefaßt, packte aus und mußte Nordirland verlassen.

Als die IRA ihren Waffenstillstand erklärte, fühlte er sich sicher genug, um mit seiner Frau und vier Kindern nach Newry zurückzukehren, wo er nicht nur regelmäßig denjenigen begegnete, die er damals verraten hatte, sondern auch den Verwandten seiner Opfer. Kurz bevor 1997 sein Buch erschien („Killing Rage“, auf deutsch „Blinder Haß“), in dem er die „Banalität des Mordens“ beschreibt, gab es schon einmal einen Anschlag auf sein Leben. Voriges Jahr, als er in einem Verleumdungsprozeß eines IRA-Mannes gegen die Times zugunsten der Zeitung aussagte, brannten Unbekannte das Bauernhaus in Camlough ab, in das Collins hatte einziehen wollen.

Wer ihn vorgestern getötet hat, weiß man nicht. Hätte die IRA- Führung die Tat angeordnet, wäre Collins wohl erschossen worden. So war es vermutlich eine private Racheaktion. Feinde hatte Collins viele, sowohl in der IRA als auch bei den IRA-Absplitterungen, die er heftig kritisiert hatte. Darüber hinaus sollte er demnächst in weiteren Verleumdungsprozessen von IRA-Leuten als Kronzeuge für die Times und den Guardian aussagen.

In der Statistik ist Collins das 25. Opfer einer Strafaktion in diesem Jahr. Die anderen 24 allerdings überlebten die Knieschüsse oder die Schläge mit Baseballschlägern. Seit dem Waffenstillstand ist die Zahl der Strafaktionen sprunghaft angestiegen, sie ist inzwischen höher als je zuvor in den 30 Jahren seit Ausbruch des Konflikts. Im vergangenen Jahr verabreichten die loyalistischen Organisationen 34 Knieschüsse, bei der IRA waren es 38. Darüber hinaus wurden mehr als 160 Menschen bei Strafaktionen schwer zusammengeschlagen, 600 Leute wurden von den Organisationen beider Seiten des Landes verwiesen.

Vincent McKenna, ein ehemaliger IRA-Mann, der heute einer „Initiative gegen Terror und Einschüchterung“ vorsitzt, sagt, daß es auf loyalistischer Seite bei den Strafaktionen hauptsächlich um Drogengeschäfte gehe, während die IRA gegen „anti-soziales Verhalten“ vorgehe, gleichzeitig aber auch Schutzgelder kassiere. Manchmal geht es schief: Der 79jährige John Brown, der von der IRA als Päderast entlarvt und ins Knie geschossen wurde, war Opfer einer Verwechslung.

Unionisten und Tories versuchten vorgestern, in Anbetracht der steigenden Zahl von Strafaktionen die Freilassung der politischen Gefangenen auf unbegrenzte Zeit auszusetzen, doch der Antrag wurde mit einer Mehrheit von 202 Stimmen abgeschmettert. Tory- Chef William Hague war in der vorangegangenen Debatte fünfmal aufgesprungen und hatte behauptet, er habe genügend Beweise, um ein Ende der Freilassungen zu rechtfertigen. Premierminister Tony Blair antwortete, auch er verurteile die Strafaktionen: „Aber die Tories müssen sich auch die Folgen ihrer Forderungen überlegen.“ Und die wären für das britisch-irische Abkommen ganz enorm, fügte Blair hinzu.

Ralf Sotscheck

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