"Nur Kartoffeln reichen nicht"

■ Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) zum Überleben der Bauern: Die Kleinen müssen sich zusammenschließen. Konzentration nützt: "Je weniger Molkereien, desto besser der Milchpreis"

Im Rahmen der „Agenda 2000“ steht die Reform der EU-Finanzen an und damit auch ein neuer Agrarhaushalt der Union. Zuschüsse für die Agrarpolitik – Landwirtschaft, Handel und Gewerbe – summieren sich jährlich auf etwa 40 Milliarden Euro, die Hälfte des EU-Budgets. Bis März sollen die neuen Grundsätze verabschiedet sein.

taz: Weshalb kommt die Reform des EU-Haushalts gerade jetzt?

Karl-Heinz Funke: Sie ist nötig vor dem Hintergrund des Beitrittes der osteuropäischen Länder. Aber auch wegen der Ende 1999 beginnenden WTO-Verhandlungen, die eine weitere Liberalisierung auch der Agrarmärkte bringen werden.

Die Bauern hier fürchten mit den WTO-Verhandlungen mehr Importe in die EU und damit weiter fallende Preise. Sie fordern zum Teil einen Schutz vor dem Weltmarkt. Ist da der Streit zum Beispiel mit den USA nicht programmiert?

Die USA werden als Sprecher für andere Nationen auftreten und darauf drängen, daß der subventionierte Export von Agrarerzeugnissen aus der EU weiter zurückgeführt wird.

Sind diese Subventionen der EU nicht ein Handicap bei den Verhandlungen? Ist die Durchsetzung gewisser Mindeststandards – wie zum Beispiel keine künstlichen Hormone im Rindfleisch oder Umweltvorschriften – damit bei der kommenden WTO-Runde nicht ausgeschlossen?

Das wird man sehen. Wir sagen, die Gesellschaft in Europa erwartet andere Standards der Produktion oder des Verbraucherschutzes.

Kommen Sie damit nicht auch in Konflikt mit der hiesigen Ernährungsindustrie?

Die hat zugegebenermaßen andere Interessen. Sie ist in hohem Maße wettbewerbsfähig und natürlich exportorientiert. Aber das ist auch im Interesse der deutschen Landwirtschaft. Nur noch ein Zehntel der in Deutschland erzeugten agrarischen Rohstoffe wird ohne Verarbeitung auf den Markt gebracht. Fast immer ist also die Ernährungswirtschaft in irgendeiner Form beteiligt. Und jeder fünfte Arbeitsplatz in der deutschen Landwirtschaft hängt bereits vom Export ab.

Das heißt aber doch auch, daß vier Fünftel der Bauern vom Inlandsmarkt abhängen. Werden diese meist kleineren Höfe von einer exportorientierten Agenda 2000 mit niedrigen Rohstoffpreisen nicht endgültig zugunsten der großen Agrarfabriken erledigt?

Es ist doch ein Trugschluß, daß kleinere Landwirte nur die lokalen oder regionalen Märkte bedienen. Das ist von Produkt zu Produkt unterschiedlich. Gerade für die kleinen Landwirte wird es eher darauf ankommen, daß sie sich mehr als bisher zusammenschließen. Nur so werden sie auf Dauer ihren Anteil an der Wertschöpfungskette sichern und ein interessanter Marktpartner für die Ernährungswirtschaft sein. Einfach nur Kartoffeln zu erzeugen reicht auf Dauer nicht. Ich muß auch voluminöse Verträge mit dem Chips-Hersteller eingehen können.

Müssen deshalb mit der Agenda 2000 nicht die Mittel für die Stützung der Erzeugerpreise umgeleitet werden in die Strukturförderung auf dem Land?

Das wird in Zukunft verstärkt der Fall sein. Da wird es aber innerhalb der EU-Staaten noch einige Diskussionen geben über die Höhe der Mittel, die umgewidmet werden.

Und was will die Bundesregierung?

Ich will folgendes schwerpunktmäßig voranbringen: Wir müssen unsere Vermarktungsstrukturen in Ordnung bringen. Denn ich kann nur etwas am Markt durchsetzen – gewisse Standards, die dann einen hohen Preis bringen, zum Beispiel –, wenn ich eine starke Stellung am Markt habe. Ansonsten wird derjenige, der hoch konzentriert ist, mich immer ausspielen. Deshalb begrüße ich auch die derzeitige Konzentration bei den Molkereien. Nur so kann ein bißchen die vorhandene Marktmacht beim Lebensmittelhandel ausgeglichen werden.

Und die Bauern sehen sich dann plötzlich nicht mehr dem Einzelhandelsriesen, sondern dem Molkereiriesen gegenüber.

Das sehe ich völlig anders. In den Nachbarländern sieht es so aus: Je weniger Molkereien, desto besser der Milchpreis. Und ich frage mich, warum das für Deutschland nicht genauso gelten soll. Es ist doch völlig klar: Wir haben das alte Spiel, daß ein großer Lebensmittelkonzern Verhandlungen führt über den Einkauf von Joghurt. Und wenn er eine Unzahl von Anbietern hat, ist es ihm ein leichtes, immer noch mal den Preis um ein Zehntel zu drücken. Je geringer die Zahl der Anbieter, desto weniger Möglichkeiten hat der Handel, sie alle gegeneinander auszuspielen.

Es ist vor allem Sache der Bauern, sich gegenüber dem Handel zusammenzuschließen. Was tun die Minister, um die Stellung der Produzenten gegenüber den Einkäufern zu stärken?

Die deutschen Agrarminister sprechen unter anderem mit dem Kartellamt, um die ökonomischen Zusammenhänge näher zu erläutern. Das Kartellamt ist natürlich unabhängig. Doch müßte nach Meinung der Minister die Sichtweise mancher Zusammenschlüsse überdacht werden. Wir erleben es manchmal, daß Zusammenschlüsse bei den Anbietern, also etwa von Molkereien, auf nationaler oder gar regionaler Ebene beurteilt werden. Fusionen auf der Nachfrageseite, also beim Groß- und Einzelhandel, aber werden erst auf europäischer Ebene als Bedrohung für den Wettbewerb erkannt. Hier sollten sich die Bewertungsmaßstäbe ändern.

Da stecken Sie zwischen Bauern und Industrie. Und bei der Förderung hat auch der Finanzminister ein Wörtchen mitzureden. Können Sie sich da überhaupt bewegen?

Landwirtschaftsminster sind immer zwischen Baum und Borke. Das ist ihr naturgebenes Schicksal. Ich bin da sowohl Vertreter der Bauern als auch Vermittler der Interessen. Interview: Reiner Metzger