Still und kompromißbereit an die Spitze

Die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan ist der stille Shooting-Star der CDU. Seit November gehört sie dem Bundespräsidium der Partei an. Doch in der Öffentlichkeit ist sie bislang noch fast unbekannt  ■ Aus Stuttgart Heide Platen

Die Dame im hellen Kostüm steht bei Kameraauftritten des Bonner CDU-Präsidiums stets bescheiden im Hintergrund: Annette Schavan, Kultusministerin von Baden-Württemberg – und der Shooting-Star an der christdemokratischen Parteispitze. Im November hatte Ministerpräsident Erwin Teufel zugunsten der 43jährigen auf einen Präsidiumsposten verzichtet. Daß Schavan seitdem zum Führungspersonal der CDU gehört, hat die Öffentlichkeit allerdings noch kaum mitbekommen.

Annette Schavan ist eine vielschichtige Person, gleichzeitig Everybody's Darling, aber auch kühl, unnahbar und diszipliniert, konservative Feministin, Karrierefrau und Intellektuelle. 1995 hatte Teufel sie an der Landtagsfraktion vorbei als Überraschungskandidatin in sein Stuttgarter Kabinett geholt, eine der von ihm protegierten Frauen, die im Land „die Mädle“ genannt werden.

An diesem Morgen ist sie gleichzeitig ein wenig unpünktlich, ein wenig herzlich und ein wenig unnahbar. Fahrer Knopp weiß schon vorher, daß die Chefin, wenn sie vor ihrer Wohnung in Stuttgart zusteigen wird, lieber hinten im Fond des silbergrauen Mercedes sitzen will, allein, bloß nicht auf Tuchfühlung. Sie hüstelt höflich: „Eine leichte Erkältung!“ Drei Stunden Fahrt hin und zurück von Stuttgart nach Neckargemünd, ein Frage-und-Antwort- Spiel mit verdrehtem Hals, vom Beifahrersitz nach hinten, die Ministerin nur schräg im Blick.

Ihre leise, gut artikulierte Stimme hat einen leicht rheinischen Klang. Geboren ist sie in Jüchen bei Neuss: zwei jüngere Brüder, eine schöne Kindheit, Eltern, die ihr Freiheit ließen und Verantwortung erwarteten. Nun ist sie für das Schulwesen zuständig, außerdem für die Sportvereine und die Landesmusikschulen. Ein bißchen wenig Kultur für eine Kultusministerin. Früher hat sie Querflöte gespielt. Und sie, heißt es in allen Berichten, studiere täglich vor der Arbeit eine Stunde lang. „Unsinn“, sagt sie, „ich studiere nicht, ich lese.“ Preisgekrönte Kinder- und Jugendbücher, aber auch Religionsphilosophie und Romane. Dem Tübinger Moraltheologen Hans Küng fühlt sie sich verbunden. Seit 1997 ist Schavan Vizepräsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken (ZdK). Sie studierte Philosophie, Erziehungswissenschaften und Theologie, „weil ich es einfach genau wissen wollte mit der Frage nach Gott“.

Ihren kultusministeriellen Alleingang für die gymnasiale Oberstufenreform plazierte sie 1998 geschickt in der österlichen Medienflaute. Ihr unermüdlicher Einsatz für das achtjährige „Turbo“-Gymnasium hat ihr den Ruf gnadenloser Leistungsorientierung und Elitenförderung eingebracht. Und da lugt über die Sitzlehne ein Koboldgesicht voller beweglicher Lachfalten. Die Brauen wandern nach oben. Frau Ministerin kichert: „Das werde ich so schnell nicht mehr los!“

Das Etikett scheint ihr ganz recht, es schützt sie vor Angriffen von rechts. In der CDU wird sie dem Kreis um Rita Süssmuth und Heiner Geißler zugerechnet.

Seit dem österlichen Knalleffekt wirbt sie beharrlich für ihre Abiturreform, für mehr Pflicht- und weniger Wahlfächer. Schavan kann abwarten. Nach anfänglicher Kritik auch aus den eigenen Reihen registriert sie mittlerweile Zustimmung aus fünf Bundesländern, darunter auch das sozialdemokratisch regierte Niedersachsen. Beim Streit um die doppelte Staatsbürgerschaft steht Schavan loyal zu Parteichef Schäuble – unterschrieben hat sie bislang aber noch nicht. Ganz nebenbei aber muckt sie gegen Landesvater Teufel auf und spricht sich für Islamunterricht an den Schulen aus.

Die Ministerin ist in der Zeit der Kurzschuljahre zum Abitur gekommen. Leistung und Disziplin, sagt sie, sind wichtig, aber nicht alles. „Herzensbildung, Empathie, Urteilskraft“, auch Zuhörenkönnen und „ein wirkliches Gespräch wollen“ sind die Tugenden, die sie vermittelt wissen will, nicht nur an der Schule, sondern auch in der „schwach gewordenen“, erneuerungsbedürftigen CDU: „Klarheit im Kopf, aber nicht verkopfen.“

Druckreifes geht ihr leicht von den Lippen. Meist sind es Sowohl- Als-auch-Sätze, die ihr Kritiker als nichtssagend ankreiden. Ihr Credo ist der Kompromiß: „Und der kann anstrengend genug sein.“ Schule für Hochbegabte und für Behinderte sind für sie wie „zwei Seiten einer Medaille“. Beide bräuchten besondere Förderung. Staatlicher Zwang zur Integration, eine gleiche Förderung für alle, immer mehr und immer flächendeckender, das sei ein sozialdemokratischer Irrweg gewesen, der der Individualität der Menschen zuwiderlaufe und das Risiko ausschließe.

Diesem „Phänomen der Wohlstandsgesellschaft“ hat sie, zwei strenge, steile Falten erscheinen über der Nasenwurzel, den Kampf angesagt: „Alles wird immer mehr verortet.“ Zum Beispiel Abenteuerspielsplätze: Hinter Zäune verbanntes, verwaltetes Erlebnis ist ihr ein Graus. Und Gutmenschen auch, die Integration um jeden Preis wollen und statt dessen „behinderte Kinder funktionalisieren“.

Vor Ort in Neckargemünd besucht sie die private Stephen-Hawking-Schule, die behinderte und nicht behinderte Kinder gemeinsam unterrichtet. Das Defilee mit Schulorchester, Kaffeetafel und Firmenrepräsentation läßt sie über sich ergehen. Frau Ministerin ist distanziert, gähnt dezent hinter der Hand. Und fragt fast ungeduldig: „Und wo sind jetzt die Kinder?“ Dann marschiert sie, die Frisur leicht zerdrückt, resolut und auf vernünftigen Schuhen vorneweg und ist nur begrenzt lenkbar.

Vor den Klassenräumen der Kleinen weist sie dem Troß die Tür: „Hier müssen nicht alle mit reinkomen.“ Flugs sitzt sie mit den Kleinsten auf dem Fußboden und spielt. Die kühle Graublonde sucht Körperkontakt, faßt an, schüttelt Händchen und Hände. Bei den GymnasiastInnen im Biologieunterricht streichelt sie auch den ausgestopften Maulwurf, bewundert das Katzenskelett und mag sich kaum trennen. Dem nachfolgend offiziellen Teil im Lehrerzimmer enteilt sie pünktlich auf die Minute.

Daß die Menschen nicht vom Brot allein leben, sondern mehr wollen als Streit und Hader in der Politik; daß Schule mehr sei als Ware und rentabler Betrieb, auch wenn das Geld koste; daß Kompromiß nur die eine Seite sei, persönliche Glaubwürdigkeit die andere, das sagt sie alles noch auf der Rückfahrt: „Ich gebe mich zu erkennen.“ Aber: „Es ist nicht meine Aufgabe, die Positionen anderer zu bewerten.“ Und tut im regnerischen Stuttgart erst einmal das Nächstliegende: Sie bietet einen Regenschirm an.