Filmrezensionen

n der Nacht sind alle Unentschlossenen grau. Gestalten diffuser als die Dämmerung. Man ahnt sie mehr, als daß man sie sieht. Sie gehen nebeneinander und hören ihren Gedanken aus dem Off zu. Soll ich ihren Mantel streifen? Meine Hand hat sie schließlich nicht zurückgewiesen? So grübeln sie wie der Kaschemmenpianist Charly, der mit gleichbleibender Miene neben der Kellnerin Lena durchs schwarze Paris stakst.

Dann plötzlich triumphierend und im Lichtkegel einer Laterne eine phantasierte Unverschämtheit. Sie legt es doch darauf an! Doch während Charly seine Einbildungsgabe mit Lorbeerkränzen behängt, läßt die Kamera keinen Zweifel an der Kurzatmigkeit dieser Kühnheit: Charlys Hand geht auf ihrem Weg zur Kellnerin der Antriebsstoff aus. Sie zieht sich zurück wie ein Tier, das seinen Übergriff angesichts eines allzu fremden Feindes doch lieber vertagt. Eine ungeheuer präzise Bildergeschichte aus abgebrochenen Gesten und verzogenen Sehnsüchten von Raoul Coutard, dem Kameramann von Francois Truffauts Schießen Sie auf den Pianisten (1959/60).

Der Film erzählt von dem Pianisten Charlie Koller (Charles Aznavour), der seit dem Selbstmord seiner Frau Leben und Namen gewechselt hat. Eine Verwandlung vom vielbeklatschten Konzertpianisten zum Unterhaltungsharlekin, der sich hinter dem Klavier ebenso verbarrikadiert wie hinter dem mechanischen Geleier seiner Musik. Ein moderner Orpheus, dem ohne seine Frau nur vage Projektionen des Glücks geblieben sind. Und geht seinem Fatalismus die Puste aus, gibt es noch ein blasiertes Gangsterpaar, das dem Unglück verläßlich auf die Sprünge hilft.

Coutards Kamera betrachtet Charly wie ein sonderbares Requisit. Sie umkreist ihn in der Dämmerung und mit viel Luft, spürt in den Hintergründen nach einer Regung oder läßt den Raum über sein menschliches Inventar regieren. Die Einstellungen von Raoul Coutard, dem das Metropolis eine siebenteilige Reihe widmet, sind wie Mutmaßungen. Über die Zer-splitterungen des Lebens, über streunende Bedürfnisse und über das Mißtrauen an fertigen Panoramen. Ein ungemein flexibler Kameramann, der das Kunststück fertig brachte, den Filmen von Francois Truffaut (Jules und Jim, Die süße Haut), Jacques Demy und Pierre Kast ein jeweils völlig eigenwilliges Bilderkostüm zu verleihen. Und ein duldsamer obendrein, denn als kein anderer seiner großen französischen Kollegen mehr den Nerv hatte, mit Godard zu arbeiten, war Coutard treu zur Stelle.

In 15 Filmen stand er neben Godard hinter der Kamera und suchte nach einem Bild für die unwirschen und widersprüchlichen Kommandos des Meisters. Wollte Jean-Luc wieder einmal unbedingt ohne künstliches Licht drehen, konnte Coutard tausendmal anmerken, daß das recht düster ausfallen könnte und wurde doch prompt beim Mustergucken für durchnebelte Einstellungen gehörig zusammengestaucht. Eines hat Coutard dem Choleriker, der seine Meinungen ebenso oft änderte wie die Dekorationen oder das Skript, jedoch immer hoch angerechnet: die Experimentierlust und die Freiheit, jede Sekunde alles ganz anders machen zu wollen. Eine „Art tägliches Happening“, wie Coutard in einem Interview sagte.

Mit Godards Neugier im Rücken konnte die Optik von Außer Atem aus dem Jahr 1959 auch für Coutard, der bislang als Foto-Korrespondent für Life, Radar und Paris-Match gearbeitet hatte, zu einem aufregenden Versuchsfeld werden. Gedreht wurde ausschließlich aus der Hand und mit Ilford-HP-5-Material, das bisher nur für Fotoapparate verwandt wurde. Da die Filmrollen nur in Zehn-Meter-Länge lieferbar waren – das reicht gerade für 20 Filmsekunden – legten allein zwei Assistenten 10 Stunden am Tag Filme ein. Spezielle Entwicklungsmaschinen erhöhten die Lichtempfindlichkeit. Eine Risikofreude, die Außer Atem seine leicht verblichene, körnige Graphik verleihen sollte.

Godard wollte das traditionelle Erzählkino ins Wanken bringen, mit allen Mitteln, auch mit den technischen. Er erkundigte sich beim Script, wie ein klassischer Gegenschuß gedreht wird, um ja einen anderen Kamerastandpunkt zu bestimmen. Er fragte Coutard nach dem günstigsten Bildausschnitt, um daraus den „unerlaubtesten“ abzuleiten. Sie drehten mal ohne Licht, mal nur mit Tele, mal – etwa in Alpha-ville – ausschließlich mit Weitwinkel, doch trotz aller Extravaganzen ersetzte nie ein stumpfes Dogma die eigentliche Idee des radikalsten Autoren der Novelle Vague: Reflexionen sollten es sein über die Liebe, den Tod, die Beschaffenheit der Bilder und die Herstellung von Tönen. Collagen, die sich mit Coutard zu wunderbar scharfen Augenblicken, aber nie zu Geschichten fügen.

Außer Atem: Mo, 1., 17 Uhr; Di, 2., 19 Uhr; Mi, 3., 21.15 Uhr; Fr, 5. Februar, 17 Uhr. Die süße Haut: Fr, 5., 21.15 Uhr; Sa, 6., 19 Uhr; So, 7., 19 Uhr; Mo, 8., 17 Uhr; Di, 9. Februar, 17 Uhr. Jules und Jim: Do, 11., 21.15 Uhr; Fr, 12., 21.15 Uhr; So, 14., 17 Uhr; Mo, 15., 19 Uhr; Di, 16. Februar, 17 Uhr. Weekend: Di, 16., 21.15 Uhr; Do, 18., 19 Uhr; Fr, 19., 21.15 Uhr; Sa, 20., 19 Uhr; So, 21. Februar, 17 Uhr. Vivre Sa Vie: Sa, 20., 17 Uhr; Mo, 22., 19 Uhr; Mi, 24. Februar, 21.15 Uhr. Die Außenseiterbande: Di, 23., 17 Uhr; Mi, 24., 17 Uhr; Do, 25., 19 Uhr; Fr, 26. Februar, 21.15 Uhr. Schießen Sie auf den Pianisten: Do, 25., 17 Uhr; Fr, 26., 17 Uhr; So, 28. Februar, 19 Uhr, Metropolis