Riesiges Samba-Gedöns

■ 14. Bremer Karneval: Kommendes Wochenende hat die Stadt ihre tollen Tage

Eine Horde von Kuttenträgern, Feldzeichen reckend, darauf Würstchen mit Senf gemalt, schiebt sich, stößt sich, taumelt, weicht zurück, droht, stampft, und die dicke Trommel dröhnt dazu. Der Feind kommt von links, hat gigantische Helme aufgesetzt, zieht im Zeichen des Gyrosspießes in einen Kampf, in dem es um eine Schöne namens Helena geht, die es zu befreien gilt. Hoho, da wird gebrüllt und gefochten, und die Kämpen scheinen schon mehrere Gefechte hinter sich zu haben, das liegt aber daran, daß sie auch im Alltag mit verschiedensten Behinderungen geschlagen sind.

Wir befinden uns im Blaumeier Atelier in Walle, wo lauter normal Behinderte mit sonstwie Behinderten einen großen Auftritt üben: Die Blaumeiers werden am kommenden Samstag auf dem Marktplatz den 14. Bremer Karneval eröffnen. Thema des großen Gedöns': „Die große Odyssee“. Und wenn Helena frei sein wird und die weißen Fahnen ihren Zweck erfüllt haben, geht die Post ab: Dann fallen 50 Sambagruppen in diesen Rhythmus, in dem man mitmuß, dann ist Rausch ohne Alk, dann sind die Wilden los, dann liegt Exzeß in der Luft. Dann tanzt durch bis Sonntag früh oder noch länger oder bis Aschermittwoch, wer das durchhält.

Der Bremer Karneval, auf den sich neben den Blaumeiers auch allerlei Bremer und auswärtige Samba- und Kindersambagruppen und Maskenbauer vorbereiten, ist fast schon Tradition. Zum 14. Mal treffen sich hier die Sambajecken, in diesem Jahr werden es 1.000 Aktive sein. In der Sambaszene gelten die Bremer tollen Tage, eine Woche vor dem offiziellen Karneval, längst als attraktives Samba-Festival; Braunschweig importiert den Bremer Karneval erstmals, und die Erfinderin gleich mit: Janine Jaeggi, Performerin, Musikerin und Regisseurin.

Es war die Züricherin und Wahlbremerin Jaeggi (Jg. '65), die – mit der alemannischen Fasnacht aufgewachsen – diese bremische Mischung aus heidnischer Winterbewältigung (Jaeggi: „Auflehnung gegen Dunkel und Kälte, auch innere Kälte“) und brasilianischen Rauschrhythmen zusammenrührte. Jaeggi, Mitglied der Bremer Sambatruppe Confusão, hat den brasilianischen Karneval in seinem Heimatland kennengelernt. Das Faszinierende an solchen Umzügen scheint die heikle Mischung aus fast-militärischer Rhythmik (viele im brasilianischen Karneval gebrauchte Musikinstrumente kommen von den Militärkapellen der portugiesischen Eroberer) und anarchisch ausufernder Lebenslust zu sein. Und natürlich gehört zum Samba, was lange nicht jeder Sambafreund hat: der Swing.

In diesem Jahr zieht der Karnevalsumzug bewußt vom Markt ins sogenannte Milchquartier hinter dem Theater. Die Veranstalter der jedes Jahr größer werdenden Schau wollen der Gefahr vorbeugen, daß immer mehr Leute sich den Umzug nur anschauen. Mitmachen sollen die Leute, „sich auflösen“, sagt Janine Jaeggi. Das geht am besten, wenn es richtig eng wird, wenn die Gassen kochen. und alle Mitmacher sollen sich verkleiden; alles paßt, was zur „Großen Odyssee“ einen Bezug hat. Da kann man an Götterboten und einäugige Zyklopen denken, natürlich an wunderschöne Sirenen, an Ungeheuer, man kann in Schiffen kommen oder trojanischen Pferden.

Janine Jaeggi ist jederzeit bereit, mit den Augen zu blitzen, wenn es um das große Sambagedöns geht. Aber müde wirkt sie, wenn sie mault, daß es nach 14 Jahren immer noch ums leidige Geld geht. Sie fordert Unterstützung „von Politik und Wirtschaft“ für dieses Bremer Aushängeschild. Unter den Veranstaltern wird allerdings zu diskutieren sein, ob eine Kommerzialisierung des Festes nicht die Phantasie bremst. Die war bisher nötig, um mit ein bißchen Pappmaché, ein paar Lumpen und einem heißen Rhythmus eine Bremer Orgie zu basteln. BuS

Freitag , 5.2., ab 19.30 Uhr „Einheizen“ mit 21 Sambagruppen im Lagerhaus, im Moments und im Bürgerhaus Weserterrassen (Eintritt 15/10 Mark) Samstag , 6.2., ab 12 Uhr Sternmarsch der Gruppen zum Marktplatz; 14 Uhr Eröffnung auf dem Marktplatz mit dem Blaumeier Atelier, Umzug Richtung Milchquartier; ab 20 Uhr „Götterball“ im Schlachthof, 23 Sambagruppen auf drei Bühnen (Eintritt 30/25 Mark)