Quadratisch-praktisch-gut

■ Die Städtische Galerie im Buntentor zeigt Bremens beste, junge KünstlerInnen. Eine (männliche) bekam den 10.000 DM-Förderpreis

Nachrichtenbilder von zerquetschten, durchbohrten, geköpften Menschen, Tieren, Verhältnissen prallen an uns ab: Zu oft gesehen. Auch diese Erkenntnis prallt an uns ab: Zu oft gehört. Und dennoch quetscht und bohrt Christian Hoischen aus diesem medienkritischen Dauerbrenner gute Kunst. Seine Videodauerschleife „Übel“ zeigt im flotten TV-Rhythmus in 28 Sekunden die Erstürmung der besetzten japanischen Botschaft in Peru, einen verzweifelten Stier, einen ermordeten Mafioso, eine Demo in Indonesien. Dazu kommentiert die Stimme eines wohlig hingefläzten, vierteltrunkenen Couchpotatos: „Ooooh – scheiiiße – üüübel – buah – was ist dasss denn?“ Gerade die Unangemessenheit dieser Wohlstands-Stimme lehrt den Betrachter wieder genau hinzugucken. Negative Dialektik: eben nicht nur überzählige Kritik, sondern auch Rückeroberung humanerer Positionen.

In einem zweistufigen Procedere wurde „Übel“ des auf 10.000 Mark dotierten „Bremer Förderpreises“ für würdig empfunden. Eine Jury von zehn Bremer Ausstellungsmachern, Profs und Künstlern trafen eine „Best of“-Auswahl aus 107 Bewerbungen von Bremer Künstlern zwischen 25 und 40. Einer überregionalen Jury (darunter Veit Görner vom Kunstmuseum Wolfsburg und Annette Sievert von den Hamburger Deichtorhallen) war es dann vorbehalten, die Rosine zu pflücken. Und die Rosine hieß „Übel“. „Übel“ erschließt sich einfach, eindeutig und blitzschnell – eine Qualität, aber auch eine Crux, denn diese Eingängigkeit hat sie mit ihrem gehaßten Gegenstand, den Nachrichtenbildern, gemein. Schon letztes Jahr wurde übrigens diejenige Arbeit ausgewählt, die dem Betrachter am wenigsten Dechiffrierungsmühe abverlangte.

Auch Norbert Bauer sucht eine Alternative zu den trauten TV-Darstellungen des Schreckens. Er sichtete Zeitungsfotos vom Bosnienkrieg und wählte nicht die eingängigen Inkunabeln aus, nicht das Titobild im zerbrochenen Rahmen, nicht die Scharfschützen in den Bergen, nicht die gelangweilt herumlungernden UN-Soldaten, sondern unscheinbare Seitenblicke: eine schiefe Ampel – ob sie noch geht? – ein paar klitzekleine Mauerbrocken im Klassenzimmer – ob hier noch unterrichtet wird? – das Schattenbild von Panzerbarrikaden, die allzu ruhigen Hände eines Diplomaten oder die arbeitsamen Hände eines Chirurgen: Lebens- und Wahrnehmungssplitter, vielleicht ein bißchen arg quadratisch-praktisch-vollkommen angeordnet. Politische Zusammenhänge erhellen sich hier nicht. Aber Atmosphäre!

Hoischens Video arbeitet mit zwei Elementen, Lutz Krügers Videoinstallation dagegen mit fünf, sieben, oder sind es elf? Es geht um Glatzköpfe, Buddhisten, Skins, einen Schwarzen, der seine Locken loshaben will, eine Frau, die wie Sinead O'Connor die gender-Zuweisung durchbricht: ein Zeichen, verschiedene Botschaften in verschiedenen Lebenskontexten. Und wenn diese Kahlköpfe hängen, kann das genauso gut Meditation bedeuten wie Frust. Und trotzdem sehen hängende Köpfe, von oben betrachtet, alle gleich aus; irgendwie wie Ausrufezeichen: Die dumme Vogelperspektive kennt eben keine Differenz. Der Internet-User schüzt sich vor solchen Deutungs-Verwirrungen durch Pictogramme. Punkt, Punkt, Komma, Strich heißt zum Beispiel: ich lache. Vielschichtig und multimedial, mit Romanzitaten, Foto und Malerei, ergründet Krüger hier den Übergang zwischen Bild und Zeichen, Mehrdeutigkeit und Eindeutigkeit.

Maike Hartwig geht eher den entgegengesetzten Weg. Ihre qudratischen Bildchen tuen so, als ob es sich bei ihnen um jene eindeutigen, allgemeinverständlichen Piktogramme handelt, die uns auf Flughäfen den Weg zu Toilette und Restaurant weisen. Doch vieles sperrt sich gegen die Entzifferung. Ist diese Lappenform ein halbes Herz oder ein Ohr? Und warum sieht man in einem gestauchten Dreieck automatisch einen Bikinislip: Schweinische Fantasie? Warum wird ein Punkt vor einem Zeigefinger als Klingelknopf gedeutet, wo doch kein Haus weit und breit zu sehen ist? Warum evoziiert ein Gebiß auf einem T-Shirt Aggressivität, wo sich doch Menschen gewöhnlicherweise nicht mehr totbeißen, sondern nur noch totschießen? Diese Arbeiten denken darüber nach, wie unlogisch oft unser Assoziieren und Abstrahieren funktioniert. Deshalb sind sie wie ein Scribblespiel angeordnet, wo aus wirrem Buchstabensalat plötzlich ein sinniges Wort entsteht.

Astrid Küver malte Hunderte verschiedene Nagellackfläschchen und zeigt damit vielleicht, welche Sorte von Wahlfreiheit diese Gesellschaft gewährt. Stefanie Hoppe läßt heiligen Opern- und Sakralgesang auf Fotos von rasenden Straßenbahnen, gelangweilten Passanten und Wäldern stoßen: Träume von der Befreiung der Gefühle aus den ihnen fest zugewiesenen Räumen, Kirche oder Konzertsaal. Den größten Gegensatz zur preisgekürten Videoarbeit bildet eine Fotoinstallation von Herwig Gillerke. Wie in einem Wald verliert man sich in diversen Selbstinszenierungen des Künstlers und Popzitaten. Körper verwischen derwischartig. Gesichter doublen sich selbst: Masken gleichen dem Gesicht darunter. Alles zwischen Fred Astair, Marlene Dietrich und Tom Jones will dieses postmoderne Ich sein.

In einer Sonderausstellung unternimmt Gert Riemann eine ganz andere Form der Selbsterkundung. Nicht Pop, sondern C.G.Jung und Tantrabuddhismus sind seine Wegweiser. Komischtraurig wie Buster Keaton sucht da einer seine Anima. Auch falsches Denken kann zu guter Kunst führen. bk

Eröffnung: 30.1., 19h. Bis 28.2.