Die „Fighting City“ im Naherholungsgebiet

■ Eigentlich sollen am Charlottenburger Murellenberg ein Erholungsgebiet und ein Denkmal für die dort hingerichteten Deserteure entstehen. Dem stehen jedoch die Übungseinrichtungen der Polizei im Wege

Die Baumstümpfe ragen aus der Eisfläche, nichts regt sich. Nur eine eigentümliche Vogelstimme ertönt, wie man sie in der Stadt nie hört. Ein Schild weist auf das Naturschutzgebiet hin. Die Ruhlebener Fließwiese zu Füßen des Murellenbergs bildete sich in der Eiszeit und ist ein seltenes Biotop. Das sumpfige Gelände mit den kahlen Laubbäumen ist zugefroren und wirkt morbide. Der Blick nach Norden endet am qualmenden Turm der Müllverbrennungsanlage, nach Süden ist er schöner: Wald, so weit das Auge reicht.

Eigentlich wären die Charlottenburger um das Grüngelände im Westen ihres Bezirks zu beneiden. Zwischen S-Bahn-Trasse, Olympiastadion und Spandauer Damm erstreckt sich ein 130 Hektar großes Waldstück: der Murellenberg samt der gleichnamigen Schlucht. Doch leider haben die Charlottenburger kaum etwas von dieser reizvollen Landschaft. Denn der schönste Teil des Geländes steht unter Herrschaft der Polizei – und die läßt keinen rein.

Nach ein paar Metern ist der ansteigende Weg schon zu Ende: Ein Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtabschluß zieht sich am Rand des Hügels entlang. Was sich dahinter verbirgt, läßt sich nur erahnen. Häuser mit schwarzen Fensterhöhlen schimmern durch die Bäume, schiefe Straßenschilder, aber kein Mensch ist zu sehen.

„Fighting City“ nennt die Polizei das abgeschirmte Areal. 95 eigens dafür errichtete Ein- und Mehrfamilienhäuser bilden samt Brücke und U-Bahn-Trasse ein Übungsdorf für Berliner Polizisten und ihre Kollegen aus anderen Bundesländern. Die Berliner Polizei übernahm die „Fighting City“ 1994 von den Briten. Die Alliierten hatten hier eine mögliche Verteidigung West-Berlins trainiert. Die Polizei hält bis heute die künstliche Stadt für unverzichtbar. Das Übungsdorf ist jedoch nicht die einzige Einrichtung der Polizei am Murellenberg. Südlich der Polizeischule liegen ein Hundeübungsplatz, zwei Schießplätze sowie ein Munitionsdepot. Zwischen diesen Polizeistandorten befindet sich eine Fläche von 43 Hektar, die aus Sicherheitsgründen ebenfalls Sperrgebiet ist. Nach Ansicht des Bezirks kann das nicht so bleiben.

Seit vier Jahren schon bemüht sich die Charlottenburger Bezirksverwaltung um eine Einigung mit der Polizei. Denn das Gelände soll den Bürgern als Naherholungsgebiet zur Verfügung stehen. Der Bezirk habe gerade den Entwurf für einen Landschaftsplan verabschiedet, berichtete Baustadträtin Beate Profé (Bündnisgrüne). Dieser Plan, der die Nutzung des Gebietes rechtsverbindlich festlegt, liege jetzt bei verschiedenen Behörden zur Stellungnahme. Unterstützung erhält der Bezirk auch von den Bündnisgrünen im Abgeordnetenhaus. Deren umweltpolitischer Sprecher Hartwig Berger will dazu eine Anfrage stellen.

Zu Zugeständnissen ist die Polizei bislang nur in Sachen Schießplätze bereit, denn die werden nicht mehr genutzt. Dem Bezirk hilft das allerdings wenig, weil er die noch immer geforderte bauliche Sicherung der Fläche nicht finanzieren kann, erläutert Profé.

Ohnehin will die Polizei nur einen Teil der Schießplätze abgeben. Den Rest müsse sie als Sicherheitszone um das Munitionsdepot behalten, heißt es. Das Depot ist der heikelste Punkt in dem Streit. Eine Verlagerung, etwa ins Brandenburger Umland, lehnt die Polizei ab, weil sie „schnellen Zugriff“ auf die Munition haben müsse. Die Absicherungsbestimmungen für das Depot sind aber so streng, daß der Bezirk nicht einmal einen Spazierweg anlegen darf.

Das Areal des Munitionsdepots ist im übrigen ein historischer Ort. Dort erschossen die Nazis während des Zweiten Weltkrieges Wehrmachtsdeserteure. Der Bezirk und eine evangelische Kirchengemeinde wollen deshalb ein Mahnmal errichten. Einen künstlerischen Entwurf gibt es schon. Niemand jedoch wird das Denkmal direkt besichtigen dürfen. Wegen der Sicherheitsbedürfnisse der Polizei wird nur eine Sichtachse geschaffen – Gedenken von weitem.

Der südliche Teil des Murellenbergs ist derzeit nur nach einer waghalsigen Kraxeltour durch die Murellenschlucht zu erreichen. Bergsteiger halten sich hier allerdings weniger auf. Die Spuren von Fahrrädern und Hundepfoten im Schnee am Rande der Fließwiese lassen erahnen, wer hier gerne spazierenginge. Jutta Wagemann