Alle an die Geräte

Fitneßstudios sind nicht nur für Goldkettchenträger da: An der Muskelmaschine treffen sich Studenten, Hausbesetzer und Girlies  ■ Von Kirsten Küppers

Erst einmal noch eine Zigarette drehen. Der 25jährige Hausbesetzer Ralf geht sein Fitneßprogramm relaxed an. In der Friedrichshainer WG-Küche ein bißchen quatschen, Tee trinken, vielleicht ein Brötchen schmieren. Gemütlich machen er und sein Freund Tom sich dann auf in den Nachbarbezirk Prenzlauer Berg – ins „Swiss- Training“-Studio. Dort klemmen sich die beiden an Geräte, strampeln, stemmen, schwitzen. Eineinhalb Stunden, zweimal pro Woche.

Das Fitneßstudio ist voll. In der weiten neonbeleuchteten Halle rackern sich etwa 180 junge Leute an sperrigen Geräten ab. In einem hinteren Raum hüpft, grätscht und klatscht der Aerobic-Kurs zu Techno-Musik. Eine blonde Frau mit Leggins und Pferdeschwanz ist Vorturnerin.

„Vor fünf Jahren wäre mir das noch peinlich gewesen“, sagt Ralf. Der Spott des linksalternativen Freundeskreises wäre ihm sicher, hätte er sich in ein Fitneßcenter gewagt. Inzwischen begeben sich viele seiner Bekannten, gerade aus der Kreuzberger und Friedrichshainer Partyszene, in die Muskelkammer. Ihre richtigen Namen möchten er und sein Freund dennoch nicht gedruckt sehen.

Fitneß ist in. Das Turnen an den Geräten paßt den vielbeschäftigten Indiviualisten besser in den vollgepackten Terminplaner als die donnerstägliche Ballettstunde oder die Volleyballgruppe. Bodybuilding ist längst nicht mehr nur Sport fürs Proletariat, Fitneß nicht nur ein Hobby von Yuppies, die auf ihren Sydney-Rome-Videos sitzengeblieben sind. Es komme auf das Studio an, meint Ralf. Bei „Swiss Training“ etwa „laufen keine Goldkettchenträger rum“.

Das stimmt. Das Publikum sieht eher nach Student denn nach Muskelprotz aus. Keiner ist heute hier älter als 40. Das Beratungspersonal hinterm Tresen wirkt wie aus dem Marienhof ausgeliehen: Es gibt sich smart, trägt Hemden von H & M und viele Stylingprodukte im Haar.

„Diese Bodybuilder-Typen wollen wir hier nicht“, sagt denn auch Geschäftsführer Raffael Buttelmann frei heraus. Seine Klientel wirbt er mit Werbesprüchen beim DJ-Radio Kiss FM, mit Inseraten in Stadt- und Schwulenmagazinen.

Überdies ködert die Franchising-Kette, die über Filialen von Aachen bis Schwäbisch Gmünd verfügt, ihre Kunden mit Billigpreisen. Für 45 Mark im Monat können Ralf und Tom hier so oft trainieren, wie sie wollen. Das ist etwa um die Hälfte günstiger als in anderen Muskelstudios. Der Köperkult der Techno-Generation läßt seiner Meinung nach die Fitneßwelle in Berlin boomen.

Auch ein Mädchen mit Girlie- Frisur, die sich gerade mit der Stärkung ihrer Bauchmuskeln abmüht, findet, der gesellschaftliche Druck, gut auszusehen, habe zugenommen. Nicht nur für Frauen. Darum sei es inzwischen völlig normal, sich im Fitneßstudio zu vervollkommnen. Auch ihr Gerätenachbar will sich „dem gängigen Schöheitsideal annähern“.

Der Bedarf an Fitneß in der Stadt nehme zu, bestätigt ebenso Ulrich Steinke von dem seit zehn Jahren in der Stadt existierenden „Elan Health Club“. Doch im Vergleich zu den deutschen Fitneß- Hochburgen München und Hamburg genieße Berlin in der Fitneßstudio-Szene einen schlechten Ruf: „Bei Berliner Studios denkt man an Hinterhinterhofklitschen oder Leute, die in ihrer Wohnung eine Kampfsportschule betreiben.“ Immerhin wurde Anfang der 60er Jahre eines der ersten Fitneßcenter Deutschlands von einem Mann namens Poldi Merc in Berlin eröffnet. In einer Wohnung in der Bleibtreustraße.

Tatsache ist, daß nur wenige der unzähligen Berliner Fitneßtempel über das von der Berliner Ärztekammer vergebene Zertifikat „Gesundheitsorientiertes Sportstudio“ verfügen. Auch Swiss Training hat kein Gütesiegel bekommen. Doch Ralf und Tom sehen das locker. Für sie steht neben Sport und Gesundheit vor allem der Kontakt mit anderen Studiobesuchern im Vordergrund. Für ein Schwätzchen zwischen dem Schwitzen muß Zeit sein. Darum lassen die Popeye-Muskeln an Armen und Beinen noch auf sich warten, obwohl sie schon seit einem dreiviertel Jahr regelmäßig in die Trainingshose schlüpfen. Tom klagt außerdem, daß es in den kargen Räumlichkeiten bei Swiss- Training keine Bar gibt, wo man nach der Plackerei einen verdienten Eiweißcocktail zu sich nehmen könnte. Da bleibt nur, nach dem Duschen den Kapuzenpulli und die Lederjacke wieder anzuziehen, und, wie Tom meint, das Bier in der Besetzerkneipe „X.B.-Liebig“.