Restmenge an sozialer Verbindlichkeit

■ Blauäugig hoffen: Die Zeitschrift „neue bildende kunst“ soll eingestellt werden

Im Oktober erst kam die gute Nachricht: Die Zeitschrift neue bildende kunst (nbk) plante eine Erweiterung von sechs auf zehn Hefte im Jahr und lud zum Feiern in ihre neuen Redaktionsräume in Berlin-Mitte ein. Dort saß man jetzt zusammen mit dem philosophisch ambitionierten Architekturmagazin Daidalos, das die Verlagsgesellschaft Gordon + Breach Arts International (G+B) gerade übernommen hatte.

Doch die Februarnummer der nbk war kaum in den Druck gegangen, da teilte der Verleger Martin Gordon der Redaktion mit, ihr letztes Heft für den März zu planen. Zur Zeit werden Kündigungen geschrieben. Den Chefredakteur Matthias Flügge hat die Botschaft in der Kur erwischt. Sein Stellvertreter Michael Freitag meint, „nach dem ersten Schock beginnen jetzt Überlegungen, nach Alternativen zu suchen und auch noch einmal Gespräche mit dem Verleger anzugehen“.

Mit mangelnder Wirtschaftlichkeit, so der Kündigungsgrund, sind Flügge und Freitag nicht zum ersten Mal konfrontiert, seit sie 1990 die neue bildende kunst gründeten. Eine Anschubfinanzierung des Kulturfonds half ihnen über die ersten Produktionen, bis sie vor fünf Jahren mit G+B einig wurden. Das Besondere ihres Zeitschriftenprojekts war anfangs die Verbindung ihres Ansehens in der Kunstszene Ostdeutschlands mit einem großen Hunger auf die Kunst im Westen. Denn die nbk ist nicht nur die einzige Kunstzeitschrift aus Berlin, sondern auch eine gelungene Transformation der ehemaligen DDR-Zeitschrift Bildende Kunst. Flügge, seit Mai 1997 Vizepräsident der Akademie der Künste, hatte in den siebziger Jahren bei der einzigen Kunstzeitschrift der DDR gearbeitet.

Der Falle, sich in einer Ost- West-Problematik festzubeißen, entgingen die Hefte schnell. Den Stellenwert der nbk macht ihre Mischung aus kunstphilosophischen Essays, die nach einer „Restmenge sozialer Verbindlichkeit“ (Flügge) in der Kunst schürfen, und einer Anschaulichkeit aus, die auch beim Blättern viele Informationen über Abbildungen und Künstlerseiten mitteilt. Anders als bei schicken Kunstmagazinen sind redaktionelle Beiträge und Werbetexte nicht zu verwechseln. Gegen einen Kulturbegriff, der Kunst als Wirtschafts- und Standortfaktor instrumentalisieren will, argumentieren die Autoren genauso leidenschaftlich wie gegen Szene-Hypes und heroische Künstlermythen.

Dem Problem jeder Kunstzeitschrift, sich die Themen nicht allein vom Rezensionshunger des Ausstellungsbetriebes diktieren zu lassen, entgeht sie durch eine Perspektive, die Randlagen nicht fürchtet. Entgegen dem Innovationsdruck des Kunstmarktes und dem kurzen Gedächtnis „junger“ Kunst gegenüber ihren Vorläufern interessieren sie sich für historische Begründungen. So ist der Zeitschrift neben der zeitgenössischen Szene oft die Geschichte der Nachkriegsmoderne eine Neubefragung wert. Das Februarheft versucht herauszufinden, warum die fünfziger Jahre wieder so präsent sind: mit Besprechungen der Retrospektiven von Jackson Pollock und Mark Rothko in den USA und einer Sammlung von kulturhistorischen Ausstellungen in deutschen Städten zu Design, Menschenbild und Ideologien der Wirtschaftswunderzeit.

Eine Schwäche der bisher nur alle zwei Monate erscheinenden nbk war die mangelnde Aktualität im Chronik- und Nachrichtenteil, die sicher auch für den dramatischen Rückgang der Anzeigen im letzten Jahr verantwortlich ist. Doch das hoffte die Redaktion gerade durch die Umstellung auf zehn Ausgaben verbessern zu können. Kostendeckend arbeiten Kunstzeitschriften nie; das wußte auch der Verleger Martin Gordon. Wahrscheinlich, vermuten nun die Berliner Redakteure, haben ihn neben den Verlusten in ihrer Zeitung noch andere Anzeigenrückgänge getroffen.

Die Einstellung der nbk betrifft auch den Verlag der Kunst Berlin, der in seiner Fundus-Buchreihe theoretische Texte von bildenden Künstlern und Medientheoretikern zugänglich machte, wie von James Abbott McNeill Whistler, André Breton, August Wilhelm Schlegel, Michel Serres und Marshall McLuhan.

Wahrscheinlich hätten die Redakteure angesichts wachsender Verluste schon früher beginnen müssen, nach einer anderen Schiene zu suchen, auf der sie die nbk weiterfahren können. Doch so was sagt sich hinterher immer leicht. Ohne einen Schuß blauäugige Hoffnung hätten sie das Blatt weder gegründet noch so weit gebracht. Katrin Bettina Müller