Ökolumne
: Ehrlich bleiben!

■ Atomindustrie hat ein Problem, die Bundesregierung kaut hart daran

Die Entsorgung, das leidige Atommüllproblem also, stand da nun am vergangenem Mittwoch auf der Tagesordnung der ersten Konsensrunde zwischen rot-grüner Bundesregierung und den AKW-Betreibern. Und als Ergebnis des zweistündigen Gesprächs beim Kanzler hätte man wohl zumindest eine realistische Bestandsaufnahme der Entsorgungssituation erwarten können. Denn die Atomindustrie hat eigentlich eine Reihe von Problemen: Ein sicheres Endlager für den hoch radioaktiven Atommüll gibt es weltweit nicht – auch nicht in Ländern ohne Anti-AKW-Bewegung. Aus den bundesdeutschen AKWs können abgebrannte Brennelemente derzeit nicht abtransportiert werden. Denn bisher bekommen die Betreiber ihre Castor-Behälter außen nicht sauber und haben immer wieder die Transportgrenzwerte überschritten. In das Zwischenlager Gorleben dürfen momentan keine Brennelementbehälter eingelagert werden. Die Langzeitsicherheit der Behälter ist nicht nachgewiesen, weil die korrosionsanfällige Behälterdichtung beim Beladen im AKW-Becken nicht trocken zu bekommen ist.

Die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente im Ausland schließlich widerspricht schon heute dem geltenden Atomrecht. Das jetzige Atomrecht erlaubt die Wiederaufarbeitung als Verwertung, also als eine Art Recycling von Kernbrennstoffen. Das Uran aus der Wiederaufarbeitung, das WAA-Hauptprodukt, will jedoch niemand haben. Es ist schlicht Abfall. Und an Plutonium ist schon jetzt aus deutschen Brennstäben in Frankreich und England mehr zurückgewonnen worden, als jemals noch in plutoniumhaltigen sogenannten Mischoxid-Brennelementen in die deutschen AKWs zurückgehen kann. Von „schadloser“ Verwertung, wie sie das geltende Atomrecht verlangt, kann dabei schon gar nicht die Rede sein. Man denke nur an die mit 280.000 Becquerel pro Kilo belasteten Tauben, die in der britischen WAA in Sellafield leben.

Die Betreiber sitzen also in einer Entsorgungsklemme, und dies aus Gründen, die sie selbst zu verantworten haben. Davon war allerdings am Dienstag im Anschluß an die erste Konsensrunde nicht die Rede. Der Sprecher der AKW-Betreiber, HEW-Vorstand Manferd Timm, lobte die „sehr angenehme Atmosphäre“ des Gesprächs und zollte als erstes Umweltminister Trittin Respekt. Der habe am Anfang des Gesprächs versichert, daß „es eine Verstopfungsstrategie seitens der grünen Partei nicht geben werde“. Timm fürchtet nun nicht mehr, daß die Grünen „über den Weg der Entsorgung letztendlich die Kernkraftwerke abstellen“ wollen.

Das recht unangenehm klingende Wort „Verstopfungsstrategie“ wird man sich nolens volens merken müssen. Es lastet präventiv die Entsorgungsklemme, aus der die AKW-Betreiber auch unter 16 Jahren CDU-Regierung nicht herausgekommen sind, den Grünen, speziell dem Bundesweltminister, an. In der Realität hat im vergangenem Sommer nach dem Skandal um die kontaminierten Castor-Behälter eine heutige CDU-Generalsekräterin den Transportstopp für abgebrannte Brennelemente durchgesetzt. Doch wenn der grüne Bundesminister ihn nicht wiederaufhebt, werden die AKW-Betreiber rufen, Trittin wolle auf kaltem Wege einen schnellen Ausstieg verwirklichen: grüne Verstopfungsstrategie eben. Jedes Beharren auf Grenzwerten, Sicherheitsregeln und Gesetzen werden die Betreiber künftig als politisch motiviert, als dem Ausstiegsziel dienend, darstellen.

In der ersten Konsensrunde hat sich die Bundesregierung verpflichtet, den AKW-Betreibern durch den zügigen Bau von externen Zwischenlagern aus ihren Entsorgungsnöten zu helfen. Bis dahin kann die Atommüllvermehrung in La Hague und Sellafield nun weitergehen. Bei den Verhandlungen über die Restlaufzeiten, die im März beginnen sollen, droht nicht mehr als ein Auslaufenlassen der 19 bundesdeutschen Reaktoren herauszukommen. Mit Phantasiezahlen von 40 oder sogar 60 Jahren Lebensdauer ihrer AKWs bereiten die Betreiber ja schon ihren nächsten Streich vor.

Jürgen Trittin hat versucht, die Ergebnisse der ersten Konsensrunde als akzeptabel schönzureden. Dabei wäre von den Grünen in dieser Lage doch vor allem Ehrlichkeit zu fordern. Nur wenn sie ehrlich die Probleme darstellen, an denen sie nicht weiterkommen, entsteht das entsprechende gesellschaftliche Klima für die Erörterung der Atomfragen. Die Bürger müssen wissen, woran sie sind, und dann eigene Konsequenzen ziehen – demonstrieren zum Beispiel. Jürgen Voges