Museale Inszenierung

■ An dem Kompromißentwurf für das zentrale Holocaust-Mahnmal scheiden sich die Geister. Mit Eisenman 3 werden kaum erfüllbare Ansprüche entstehen. Leitende Mitarbeiter deutscher Gedenkstätten melden ihre Bedenken an.

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist dafür, der Staatsminister für Kultur Michael Naumann will es sowieso, und auch Architekt Peter Eisenman versteht die dritte Version seines Entwurfs für das Berliner Holocaust-Mahnmal nicht etwa als einen Kompromiß, sondern sieht darin – so verriet er dem Berliner Tagesspiegel unlängst im Interview – „eher eine Verbesserung“. Eine substantielle Änderung ist es in jedem Fall. Das Feld der unterschiedlich hohen Betonpfeiler, zwischen denen schmale Gänge hindurchführen, wurde auf die Hälfte seiner Größe reduziert. Statt der 3.000 Stelen sind es jetzt nur noch rund 1.400, dazu kommen ein „Haus der Erinnerung“ plus Räume für Ausstellungen, die das Ganze mit Informationen, sprich mit „Bedeutung“ anreichern sollen.

Doch in dem Kreis derjenigen, die sich qua Amt mit der Gedenkproblematik beschäftigen, gibt es auch etliche, die der Mischung aus Denkmal, Forschungsinstitut und Ausstellungsort, die nun diskutiert wird, ausgesprochen kritisch gegenüberstehen.

Gabriele Camphausen zum Beispiel, die geschäftsführende Direktorin der Berliner Stiftung Topographie des Terrors, hält die neueste Entwicklung in Sachen Holocaust-Mahnmal für unnötig, mehr noch: für „bedenklich, weil sie die bisherigen Erfahrungen und Ziele der Gedenkstätten in Deutschland in keiner Weise berücksichtigt“. Gedenkstättenarbeit beruhe darauf, daß „man Geschichte am konkreten Ort festmacht und dokumentiert“, so Camphausen. Historie und die Aufklärung darüber seien hierzulande, anders als in Israel oder den USA, engstens an die authentische Umgebung gebunden.

Wenn man jetzt neben dem eigentlichen Denkmal ein künstliches zentrales Holocaust-Museum installiere, dann werde die Geschichte von den authentischen Orten wegverlagert. „Das ist eine konzeptionelle Wende, die ich beunruhigend finde. Es geht darum, den Blick zu schärfen, was in der unmittelbaren Umgebung geschehen ist.“ Nur so könne der „alltägliche Bezugsrahmen des Grauens“, der den Verbrechen der Nationalsozialisten zugrunde gelegen habe, vermittelt werden.

Auch Johannes Tuchel, Mitarbeiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und Leiter der Gedenkstätte in Berlin-Plötzensee, sieht noch erheblichen Klärungsbedarf, gerade was das Inhaltliche betrifft: „Ich weiß noch nicht, was ich mir unter diesem Entwurf vorzustellen habe.“ In welche Richtung das Modell „Eisenman 3“ ziele, sei nicht genau zu erkennen. Tuchel fordert, was an sich schon längst hätte geschehen sollen: „Es muß einen Abstimmungsprozeß mit den anderen Gedenkstätten in und um Berlin geben.“

Ähnliches hört, wer bei Julius Schoeps nachfragt, dem Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums: „Die Ideen kommen und gehen. Das ist alles willkürlich geworden.“ Eine irgendwie geartete Koordination sei nicht erkennbar, was um so fatalere Auswirkungen haben könne, wenn man sich vergegenwärtige, daß es in Berlin längst eine Reihe von Einrichtungen mit gleicher Aufgabe gebe: „Die Topographie des Terrors ist Luftlinie 250 Meter vom vorgesehenen Mahnmal-Standort entfernt.“ Für Schoeps liegt daher die Überlegung nahe, daß „offenbar daran gedacht ist, die ein oder andere Institution zu schließen“.

Und natürlich werde die Etablierung einer zentralen Holocaust-Gedenk-und-Forschungsstelle auch Folgen für die KZ-Gedenkstätten haben: „Wenn die Schulklassen künftig in Berlin- Mitte bleiben können, dann werden die nicht mehr nach Sachsenhausen, Ravensbrück oder Buchenwald fahren.“ Fragwürdig sei zudem, die Shoah „aus dem Zusammenhang des Dritten Reiches“ herauszulösen: „Davon halte ich nichts.“

Mit der bisherigen Entwicklung der Mahnmals-Diskussion im allgemeinen und dem Naumann/Eisenman-Entwurf im besonderen geht auch Hanno Loewy vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main hart ins Gericht: „Das Debakel des einen bringt immer nur etwas noch Schlimmeres hervor. Da werden Dinge zusammengezwungen, die man sicher alle tun muß, nur das nicht gleichzeitig.“ Die Mixtur aus Denkmal und angeschlossener Forschungsstelle entspringe einem „hybriden Gesamtkunstwerk-Gedanken, wo Betroffenheit, Gedenken, Nachdenken, Forschung, Bildung und Information“ an einem einzigen Ort stattfinden solle. Ein Grund dafür sei wohl, daß man der Kunst allein nicht traue. Die aber mache man auch nicht besser, „wenn man die Gebrauchsanleitung mitliefert“.

Das inzwischen schon einmal modifizierte Serra/Eisenman-Modell mit allem aufzuladen, „was man sonst noch zum Thema sagen kann“, sei, so Loewy, „die letzte Übersteigerung der Hilflosigkeit“. Die jetzige Lösung sei eine, die alles andere behindere, wenn nicht unmöglich mache. „Es wäre sinnvoller, die Arbeit der Einrichtungen, die es bereits gibt, auszubauen.“ So, wie das Mahnmal jetzt geplant werde, bestünde die Gefahr einer „mystischen Identitätsstiftung“, da man einem an sich irrelevanten historischen Ort eine emotional-symbolische Bedeutung zuschiebe.

Einen grundsätzlichen Zwiespalt glaubt Volkhard Knigge von der Gedenkstätte Buchenwald ausgemacht zu haben. Einerseits sei nicht zu leugnen, daß die Initiatoren des Mahnmals in einer Verantwortung den Opfern und deren Nachkommen gegenüber stünden. Wenn in puncto Mahnmal nicht bald etwas passiere, „dann passiert nie was“. Und der von Naumann angeregte dritte Eisenman-Entwurf gehe durchaus in die richtige Richtung, weil er Erinnerung und Aufklärung in eins bringe. Gedenken, davon ist Knigge überzeugt, braucht nun mal auch Wissen. Andererseits werfe ein solcher „künstlicher authentischer Ort“ wie das Mahnmal-Projekt nicht zuletzt schwerwiegende praktische Probleme auf.

Beispielsweise die Frage, wie das Holocaust-Museum gefüllt werden sollte, ohne eine „Museumsruine mehr zu bekommen“. Schon das Washingtoner Holocaust-Memorial Museum hatte, so Knigge, Schwierigkeiten, geeignete Ausstellungsstücke zu finden. Schließlich lägen die Exponate weder auf der Straße, noch existiere so etwas wie ein internationaler Markt für Erinnerungsgegenstände an die Shoah. „Sie können nicht durch die Welt fahren und sagen, fünf Zebraanzüge bitte. Die gibt es einfach nicht.“ Ulrich Clewing